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Viel Platz um den Hauptbahnhof in Helsinki.

Das Denkmal „Die Schiffsbrüchigen“ ...

Die Landstraße Nr. 4 - ein Weg durch den Urwald.

Ein loderndes Kaminfeuer und die obligatorische Kanne Kaffee.

Der Tenojoki...

Auf den Spuren von Curt Biging
Inari - eine Lapplandfahrt

Einer der besten deutschsprachigen Reiseberichte vom Inari-See und Lappland stammt aus den 1920er Jahren. Der deutsche Arzt und Politiker Curt Biging bereiste damals auf recht abenteuerliche Weise den riesigen See in Lappland und berichtet von einem Leben dort, wie es heute nicht mehr so anzutreffen ist. Die NORDLANDSEITE besuchte einige Stationen seiner Reise heute über 70 Jahre später.

Auf den Vorseiten in dem Biging-Buch ist das Denkmal „Die Schiffsbrüchigen“ von Robert Stigell (1898) abgebildet, welches in Helsinki nahe dem Hafen auf dem „Observatorieberget“ zu sehen ist. Für Biging steht dieses Denkmal für „Hals- und Beinbruch“. Das hatte Biging auch dringend nötig zu einer Zeit, als es noch keine GPS-Geräte und Mobiltelefone gab und er im Sturm über das Meer der Samen irrte.

Anreise

Seine Reise tritt Curt Biging wahrscheinlich 1927 oder 1928 an, als er um die 40 Jahre alt ist. Seine Reiseerzählung beginnt in Helsinki, und mit dem Zug fährt Biging nach Rovaniemi:

„Die händlerische Betriebsamkeit der Stadt wird am besten dadurch illustriert, daß auf acht Einwohner ein Auto kommt.“ (S. 32)

„Zwei Autolinien fahren gen Norden: die Post und die Lapinjuna (der Lapplandzug). Beide führen ausgezeichnete Brockway-Wagen vom Autobustyp ohne Decksitze. Die Federung ist gut, die Sitze sind bequem, man übersteht die zwölfstündige Tour bis Ivalo (295 Kilometer) ohne jede Unbehaglichkeit.“ (S. 33)

Von dem Rovaniemi, wie es Biging kennen lernt, bleibt im 2. Weltkrieg nicht mehr viel übrig. Die deutsche Wehrmacht brennt die Stadt auf ihrem Rückzug vom Norden nieder.

Flugzeug

Heute im 21. Jahrhundert wähle ich das Flugzeug als Reisemittel und erreiche den Inari-See nach wenigen Stunden vom Flughafen Düsseldorf aus mit einem kurzen Zwischenstopp in Helsinki. Das Flugzeug hat ebenfalls wie der Brockway-Wagen keine Decksitze. Darum bin ich eigentlich recht froh. Aber bequem ist es drinnen trotzdem nicht, weil es sehr eng ist. Nach fast vier Stunden reiner Flugzeit bin ich erleichtert, aus der Konservenbüchse wieder heil heraus zu kommen. Mein Gepäck wiegt rd. 30 Kilogramm. Biging dagegen reiste mit 135 Kilogramm schwerem Gepäck - mit dabei ein Klepperboot für seine Fahrt über den Inari-See.

Einige Kilometer südlich vor dem Kirchdorf Inari beziehe ich eine kleine Holzhütte bei „Pätilän Mökit“ auf Uruniemi. Bei meinen weiteren Reisevorbereitungen hilft mir Sauli Pätilä, der hier während der Sommermonate seine Eltern unterstützt.

Die Finnen haben hier noch ihre eigenen Götter, aber dass gibt keiner von  ihnen zu. Der Götterchef ist Donnergott Ukko, und der hat sogar eigene Inseln auf dem Inari-See!

Der Inari-See vor über 70 Jahren

 

Curt Bigings erste Fahrt auf den Inari-See erfolgt von Ivalo aus. Seine Karte hat „nur“ einen Maßstab von 1:400 000, während ich eine im Maßstab von 1:50 000 benutzen kann. Auch habe ich ein Mobiltelefon mit dabei – natürlich nur für den Notfall. Auf ein GPS-Gerät verzichte ich. Statt dessen orientiere ich mich in klassischer Form mit einem Wanderkompass, der keine Batterien braucht. Das Biging-Kanu tausche ich mangels Erfahrung gegen ein kleines Motorboot.

Grippe

Von Ivalo aus steuert Biging mit seinem Klepperboot die Insel Mahlatti an und erkrankt dort an einer fiebrigen Grippe. Nach drei Tagen erholt sich der Inari-Paddler:

„(...) der böse Geist vermag den Ansturm von Salizylsäure, Chinin und Akonit nicht standhalten.“ (S. 45)

Bigings erstes Ziel ist das Kirchdorf Inari. Auf der Fahrt dorthin erlebt er die Besonderheiten des lappländischen Wetters. Eben noch will er ein Foto von dem Wolkenschauspiel machen, im nächsten Augenblick wird sein Boot von den Wellen fast umgeworfen. Im dichten Regen kann er ans Ufer flüchten. Diese Bucht tauft er „Rettungsbucht“.

Pfarrer und Thule

Im Kirchdorf Inari wird Biging von dem Pfarrer Itkonen herzlich aufgenommen. Mit ihm fährt er nordwärts nach „Thule“, dem Hof von Uno Vaenerberg - ein wohl damals bekannter Mann zwischen Ivalo und Utsjoki, weil er dort die Post einsammelt und austeilt. Für seine Botendienste benutzt Vaenerberg einen uralten Ford:

„Man muß nur einmal den Weg zwischen Ivalo und Inari gesehen haben, um Respekt vor dem alten Klapperkasten zu bekommen. Ein Wagen, der jahrelang fast tagtäglich diese Strecke zurücklegt, ohne sich dabei in seine Bestandteile aufzulösen, verdient aufrichtige Hochachtung.“ (S. 61)

Radwege auf der Landstraße

Die Landstraße Nr. 4 zwischen Inari und Ivalo ist mittlerweile gut ausgebaut. Im Sommer 2002 haben sogar die Arbeiten für einen Radweg entlang der viel befahrenen Landstraße begonnen, der etwa vier Kilometer vor dem Kirchdorf beginnen soll.

Meine Recherchen in Inari, etwas über dieses sagenhafte Thule zu erfahren, bleiben leider erfolglos. Eine Familie Vaenerberg ist hier nicht bekannt. Auch die Busfahrer, die zwischen Utsjoki und dem Kirchdorf pendeln, wissen nichts von diesem damaligen Postboten. Dabei muss dieser Vaenerberg - oder auch Veneberg - einen großen Hof etwa 15 Kilometer nördlich von Inari bei dem Ort Kaamanen gehabt haben. Dieser Hof war wohl damals der touristische Anziehungspunkt in Lappland, denn viele Reisende suchten hier Rat und Hilfe.

(Im Sommer 2004 traf ich in Kaamanen eine Großnichte und eine Stieftochter Uno Vaenerbergs - Lesen Sie hier die Geschichte auf dieser Internetseite [Link])

Finnischer Kaffee

Sauli lädt mich zu einer Tasse Kaffee ein – es ist frischer Bohnenkaffee. Sonst ist hier die Kaffeekultur, wie eigentlich in ganz Skandinavien meiner Meinung nach eher grauenvoll. Wer kennt sie nicht, die ewig erhitzen braunfleckigen Glaskannen auf den Heizplatten neben den Kassen an den Tankstellen, Hotels, Bars oder Restaurants. Nur die Erinnerung an den heimischen Kaffee lässt mich morgens endgültig wach werden, ansonsten bereitet mir der finnische Kaffee Kopf-, Hals-, Mund- und Magenschmerzen. Aber der finnische Kaffee ist - oder war zumindest - etwas Spezielles. Oft stecken die Finnen ein Zuckerstück in den Mund und schlürfen dadurch ihren Kaffee:

„Kaffee ist das Nationalheiligtum in Lappland. Selbst die Männer trinken ihn mit Behagen, wenn sie nicht gerade einmal heimlich destillieren oder geschmuggelten Schnaps erwischen. Man kann nicht behaupten, daß der Kaffee, den man in Lappland zu trinken bekommt, immer gut ist, aber rein ist er auf jeden Fall. Die Frauen brennen ihn selbst, und dabei kommt natürlich bisweilen ein recht merkwürdiges Aroma zustande. Außerdem benutzen sie Kaffeemühlen, die offenbar von den ersten Missionaren vor einigen hundert Jahren ins Land gekommen sind und die Schärfe ihres Gebisses eingebüßt haben. Die grobe Mahlung gestattet natürlich keine gründliche Ausnützung des Kaffees, doch kaum wird eine Hausfrau es wagen, einen Zusatz anzuwenden. Eine Pfarrersfrau soll es einmal riskiert haben, als die Frauen des Kirchspiels von ihr bewirtet wurden. Es hat Jahre gedauert, bis die Frau sich rehabilitiert hatte. Auch ihres Mannes guter Ruf war dahin, denn wie kann man zu einem Pastor Vertrauen haben, dessen Frau sich nicht schämt, ihre Gäste mit Kaffeezusatz zu betrügen. Das kommt gleich hinterm Renntierstehlen.“ (S. 63f)

Fahrt über den Inari

Zurück von Thule wird Biging zu einer Fahrt mit einem anderen „Postagenten“ entlang des Inari-Sees eingeladen, um von dort dann weiter die 150 Kilometer zur Eismeerküste weiter zu reisen. Dabei passieren sie u. a. eine Fischerhütte namens Tukha-Sammeli, wo der Sandstrand dunkel violett schimmert. Rauchquarz, so vermutet Biging auf Seite 75.

Fast genau auf dem 69. Breitengrad macht die kleine Gesellschaft Halt neben einer idyllischen Bucht mit einer wild romantischen Landschaft:

„Der Postmann führt mich zu einem riesigem Felsblock, der alles überragt; der Block liegt hohl auf kleinerem Felsen und bildet eine natürliche Höhle. Er ist schon von weitem sichtbar und stellt eine Landmarke dar, die keine Verwechslung gestattet.“ (S. 76)

Einige Kilometer weiter rasten die Männer zu einer Kaffeepause auf Akuniemi. Der Postmann erzählt von einer „echten Lapinkota“ in der Nähe:

„(...) und fahren zu einer Insel hinüber, die bei den Eingeborenen Akusaari heißt; auf der Karte trägt sie keine Bezeichnung. Beim Landen kommt uns eine mittelalterliche Lappenmadam entgegen. Es sieht wenig luxuriös hier aus, zerrissene Netze sind ausgebreitet, verwahrloste Boote liegen herum. An den abgebrochenen Zweigen von niedrigen Bäumen und Sträuchern stecken getrocknete Fischköpfe; (...) und glaube erst daß es sich um einen Aberglauben handele. Später erfahre ich, daß diese Sitte einen sehr realen ökonomischen Hintergrund hat; vor dem Winter werden diese Fischköpfe eingesammelt, und man kocht aus ihnen eine Suppe, die als Kraftfutter für das Vieh verwendet wird, um der Nahrung der Tiere die nötigen Phosphate und Eiweißstoffe zuzusetzen, weil das Wiesenheu wenig Bestandteile dieser Art enthält.“ (S. 78)

Mit dem Fotoapparat macht Biging einige Bilder:

„Ich photographiere auch ihre Villa, einen etwa anderthalb Meter hohen unterstandsähnlichen Bau aus schräggestellten Knüppeln, die mit Erde beworfen sind. Innen steht ein primitiver Kamin aus horizontalen geschichteten, flachen Steinen, wie man ihn in allen Hütten dieser Gegend findet. Der Fußboden, der mit dem Erdboden identisch ist, hat einen Teppich aus zerschnittenen Zweigen. Außer einem Hocker ist kein Unrat zu sehen, es hätte auch keinen Platz. Wo und wie die Frau in diesem Loche schläft, weiß ich nicht; vermutlich rollt sie sich wie ein Igel zusammen.“ (S. 78)

 

 

 

Jetzt wurden sogar die Gleise überdacht.

... am Hafen von Helsinki. Im Hintergrund die Fähre FINNJET.

... Heute komfortabel, bald mit Radwegen beim Kirchdorf.

So einen Kamin gibt es noch im Museum Siida in Inari zu sehen.

... Grenzfluss zwischen Norwegen und Finnland

Damals schien die Insel Ukkonkivi noch ziemlich  kahl zu sein.

Akusaari in den Zwanziger Jahren.

 

Die Lapinkota auf Akusaari.

Der Inari-See heute

Von Sauli bekomme ich für meine Tour ein Boot. Es ist ein rotbraun gestrichenes Holzboot, sehr gut gepflegt und ausgestattet mit Ruder und einem 4-PS-Benzinmotor. Ein reiner Benzinmotor sei besser als ein Motor, der mit Ölgemisch läuft, erklärt er mir. Außerdem schlucke er viel weniger Kraftstoff.

Das Wetter ist sehr wechselhaft, als ich in das Holzboot steige und meine Inarifahrt beginnen will. Bei reichlich Wind und Wellen versuche ich ein Gefühl für die Steuerung zu bekommen. Immer wieder knallt der Rumpf auf das Wasser, und die Gischt spritzt mir ins Gesicht. Der Schutzgeist des Wassers Ahti spielt mal wieder mit der Meerjungfrau Vellamo.

Keine Fischerhütte

Nach einigen Kilometern taucht langsam die Chefinsel Ukkonkivi vor mir auf. Doch das Wasser ist zu unruhig, ich kann nicht anlegen. Gottvater Ukko gewährt mir heute keine Audienz. So muss ich auf einen Blick von oben auf den Inari-See verzichten.

Entlang des nördlichen Ufers halte ich mich. Den dunkel violetten Sandstrand mit der Fischerhütte Tukha-Sammeli kann ich aber auf meiner Fahrt in Richtung der Insel Akusaari nirgends entdecken.

Das lappländische ABC

Da der See dort einige Untiefen hat, orientiere ich mich genau an den Seezeichen – Buchstaben auf riesigen Holztafeln. Gemächlich passiere ich die Lettern C, E und H. Bei J wird es hektisch, denn eine schwarze Wolkenformation steuert auf mich zu. 

Die nächste große Insel heißt Viimassaari. Zum Glück finde ich in der Buchstabensuppe sofort eine Stelle zum Landen. In aller Eile packe ich das Zelt aus, wickele die restlichen Sachen in eine Plane, und schon schüttet es nach allen Kräften. Zwar dauert der Regenguss nur eine halbe Stunde, doch er reicht aus, um mein Boot halb mit Wasser zu füllen.

Bis zum 69. Breitengrad ist es nur noch eine kurze Fahrt. Auch finde ich hier eine Bucht mit wild romantischer Landschaft. Doch an der Landungsstelle ist ein großes Haus, wo ein paar Männer herum laufen. Ich lege an und versuche ihnen, meine Absicht zu erklären – den großen gut sichtbaren Felsen zu finden. Doch die Leute sprechen nur finnisch und scheinen sich über Besuch nicht so zu freuen. Also muss ich unverrichteter Dinge wieder ablegen, aber nicht ohne vom Boot aus das Ufer nach diesem markanten Biging-Stein abzusuchen.

Doch die Bäume sind viel zu groß, viel zu dicht, ich kann nichts entdecken. Im Gegensatz zu den kargen Baumwuchs auf den Fotos im Biging-Buch, stehe ich hier einem mittlerweile dicht bewachsenen Urwald gegenüber.

Flaches Wasser

Wieder passiere ich das J und steuere auf das K zu. Jetzt wird es spannend, denn meine Karte weist eine enge Fahrrinne mit vielen Untiefen auf. Etwas Übung sollte man bei diesem Navigieren durch die Seezeichen haben, und die fehlt mir. Trotz des geringen Tiefganges meines Bootes haut plötzlich die Schiffsschraube auf felsigem Grund. Glück gehabt, es ist nichts passiert! Ich wische mir den Schweiß von der Stirn. Wegen der rasanten Wolkenwechsel verlasse ich die Buchstaben-Fahrtroute, die über größere freie Wasserflächen führt. Die Nähe zum Ufer erscheint mir sicherer.

Ein großer Fehler! Die nächste schwarze Wolkenwand schiebt sich in meine Richtung. Eilig steuere ich zum Ufer der Halbinsel Muurahaisniemi. Voller Schrecken muss ich aber erkennen, dass die Wassertiefe hier sehr gering ist. Ich kippe den Motor nach oben und versuche das Ufer mit Muskelkraft und Ruder zu erreichen. Mittlerweile fängt es an zu schütten. Endlich erreiche ich den Sandstrand. Doch da der nächste Schreck: Es ist kein festes Land, sondern eine matschige Sandaufschwemmung. Ein Zelt mitten im Sumpf aufzubauen, ist eine ziemlich aussichtslose Sache, denke ich, während sich die Tropfen in meinen Kragen ergießen.

Zum Glück kann ich im Regen einen kleinen Hügel in der Nähe ausmachen. Doch vorher muss das Boot aus dem Wasser in den Matsch geschoben werden, da keine Möglichkeit in der Nähe ist, es festzubinden. Was für eine Plackerei im Regen. Zwei Mal wate ich durch Regen und Sumpf, bis ich meine Sachen auf dem Hügel habe. Schnell steht das Zelt, und nass krieche ich hinein. Die pechschwarzen Wolken versprechen kein baldiges Ende der Wasserfluten. Der Regen wird undurchdringlich wie eine Mauer. Ich werde fast taub von dem Trommeln der Regentropfen auf meiner Zeltplane. Ukko Donnergott tobt ganz schön!

Sand, Sumpf und Ameisen

Während es schüttet, orientiere ich mich auf der Landkarte. Die Linientypen weisen große Teile der Halbinsel als „schwerbegehbares und unpassierbares Moor“ aus. Nur da, wo ich jetzt sitze, ist klitzeklein eine freie Fläche zu erkennen. Wieder Glück gehabt.

Weil es weiter heftigst regnet, beschließe ich, die Nacht hier zu verbringen. Morgen will ich weiter nach Akusaari!

Die wärmende Sonne weckt mich auf. Was heißt eigentlich Muurahaisniemi? In meinem kleinen Langenscheidt finde ich die Antwort: Muurahai-nen bedeutet Ameisen, also Ameisen-Halbinsel (-niemi = Halbinsel). Und wirklich, ich sitze mitten auf einem riesigen Ameisenhaufen! Aber ich habe schon wieder Glück, die Krabbeltiere sind nett und lassen mich in Ruhe. Ein weiterer Blick aus dem Zelt, das Boot ist noch da.

Meine nassen Sachen lege ich zum Trocknen auf die Flechte. Die Ameisen krabbeln unbeirrt über den Boden. Ich wate zum Boot, um es näher an meinen Zeltplatz heranzuholen. Diesmal ist es fast bis zum Rand mit Regenwasser voll gelaufen.

Nach der Schufterei stürze ich mich in das erfrischende Inariwasser. Hier ist es fast wie an einem Mittelmeerstrand, überall feiner Sand. Am Ufer und in den Moorflächen liegen viele umgestürzte Bäume, die irgendwann den starken Winden nachgeben mussten. Zwar habe ich noch diverse Auseinandersetzungen mit beißenden Bremsen, doch jetzt fühle ich mich fit für die Weiterfahrt.

Die Lapinkota auf Akusaari

Die Insel Akusaari liegt vor mir, das Wetter ist herrlich. Ich schalte den Motor aus und rudere die Insel entlang. Und wirklich, ich traue meinen Augen nicht, am Ufer steht die von Biging beschriebene Lapinkota. Allerdings stehen daneben mehrere neue Blockhäuser, komfortabel ausgestattet mit Solarzellen auf den Dächern.

Kein Mensch ist zu sehen, also gehe ich an Land. Ehrfürchtig stehe ich vor der Lapinkota, die sogar mit der im Buch abgebildeten eine gewisse Ähnlichkeit aufweist. Ich bin mir sicher, dass ist die Kota aus dem Biging-Buch. Vielleicht haben die Finnen auch einen Gott der Vergangenheit.

Die Neugier siegt, und ich mache etwas, was ich sonst nie machen würde: Ich öffne die nicht verriegelte Tür der kleinen Lehmhütte. Und meine Illusion stürzt zusammen wie ein Kartenhaus. Die Hütte ist leer, die Wände sind aus rechteckigen Betonsteinen. Darauf ist von außen frisches Moos gelegt, wiederum gestützt von kleineren Birkenholzstämmen, die garantiert keine 75 Jahre alt sind. Das ist nicht die Bigingsche Hütte. 

Trotzdem ist es interessant, dass jemand hier eine Lapinkota gebaut hat - vielleicht sogar in Gedenken an jene Samen, die in den zwanziger Jahren auf Akusaari lebten, und die Biging getroffen hatte.

Sprachloses Treffen

Mein Bootsmotor springt nicht mehr an. Ausgerechnet da passiert ein kleines Boot, in dem ein altes Paar sitzt. Einige Zeit brauche ich zum Verarbeiten dieser Szene, zum Vergleichen der Bilder in meinem Kopf mit Szenen aus einem tollen Film über den Inari-See. Das Paar im Boot müssen Maria und Karl Heinz Kramberg sein. Ihre Lapplandfilme „Das andere Licht“, „Lieber in Lappland“ und die „Verlobten vom Tränensee“ aus den siebziger und neunziger Jahren sind bei vielen Inari-Reisenden gut bekannt und werden häufiger in den Dritten Programmen und den Kultursendern wiederholt. Sie bewohnen in der Nähe auf dem Inari-See ein Blockhaus und kommen oft im Jahr für längere Zeit her.

Und mein Motor streikt! Welcher Gott, Gnom oder Kobold spukt denn ausgerechnet jetzt in den Zylindern?

Bevor ich die Menschen im vorbei fahrenden Boot richtig einordnen kann, sind sie auch schon außer Rufweite. Das war mein Zusammentreffen mit den um die achtzig (!) Jahre alten Krambergs - die Kinder waren, als Curt Biging den Inari-See befuhr.

Regenfluch(t)

Der Motor läuft immer noch nicht, und eine neue schwarze Wolkenwand schiebt sich wieder über den See. Eine kleine Bucht auf Akusaari kann ich mit Holzrudern und Muskelkraft schnell erreichen. Doch der Boden ist mit großen Moos bedeckten Steinen übersät: keine Möglichkeit zum Zeltaufbau. Allerdings habe ich wieder Glück. Die Regenwand biegt vorher in eine andere Richtung ab und verschont mich diesmal.

In einer anderen Bucht auf Akusaari beschließe ich, die Nacht zu verbringen. Auch hier ist der Boden steinig und sumpfig. Bequem wird diese Nacht nicht. Ich versuche mich im Fluchen, wie es die alten Finnen in Bigings Buch in absoluter Perfektion können. Aber der Himmel ist eigentlich zu schön, um zu fluchen. Fast um Mitternacht verschwindet jetzt Ende Juli die Sonne unter dem Horizont. Das spiegelglatte Wasser reflektiert scharf die roten Wolken. Geist Ahti und Jungfrau Vellamo scheinen zu schlafen.

Schlechtes Wetter

Rote Wolken am Abendhimmel aber verheißen nichts gutes, habe ich mal irgendwo gelesen. Nachts werde ich von schlagenden Geräuschen wach. Mein Boot wird vom unruhigen See gegen die Ufersteine geworfen. Um mich herum ist dichter Nebel, und es ist lausig kalt. Hoffentlich nur ein kurzes Intermezzo, denke ich, fluche, sichere das Boot und versuche wieder einzuschlafen, was mir nur schlecht gelingt.

Am nächsten Morgen verzichte ich auf eine Weiterfahrt gen Nordosten. Der See ist grau. Der Himmel ist grau. Es regnet. Nur mit Sandalen und ohne Strümpfe sitze ich fluchend in dem mit kalten Wasser halb überfluteten Boot. Meine Wanderstiefel sind völlig durchnässt und eignen sich momentan nicht mehr zum Tragen. Dafür läuft der Bootsmotor heute anstandslos. Ohne Fehl und Tadel passiere ich diesmal die kritischen Buchstaben L, K, und J. Anscheinend bin ich der einzige bei dem Wetter auf dem See.

Nach stundenlanger feucht grauer Südwestfahrt erreiche ich schließlich eine kleine Insel mit guter Zelt- und Feuermöglichkeit; hier konnte ich schon mal vor einigen Jahren Station machen. Außerdem ist die Insel Suovasaaret in der Nähe, dort ist eine autiotupa – eine Schutzhütte, falls das Wetter schlimmer werden sollte. 

Kaum aber lege ich an der Insel an, wird das Wetter besser, die Sonne scheint. Das Fluchen scheint zu wirken! Meine Sachen breite ich zum Trocknen in der Sonne aus und genieße am Ufer bei einem Feuer Tee und Tütennahrung. Endlich Erholung!

Eine herrliche und überschaubare Insel! Hier möchte ich mir etwas Entspannung gönnen und plane, die nächsten Tage zu bleiben. Dann will ich weiter zu der großen Insel Hoikka Petäjäsaari, einer weiteren Station in Bigings Reisebericht.

Die Vögel zwitschern, das Wasser plätschert, der Wind rauscht. Natur pur. Aber dazwischen mischt sich ziemlich oft das Brummen von Reijo Raumala. Reijo Raumala ist kein Gott, aber trotzdem ein Herrscher - der Herrscher der Lüfte über dem Inari-See. Mit seinem blauweißen Wasserflugzeug knattert er mal wieder über den See. Seit Anfang der siebziger Jahre fliegt er Touristen über den Inari-See. Diesen Sommer schafft er seinen 30.000sten Flug! Aber er fliegt nicht mehr lange für andere, denn seine Fluglizenz läuft aus. Er wird langsam zu alt.

Wettervorhersage

Am Nachmittag frage ich bei Sauli per SMS nach dem Wetter für die nächsten Tage. Die Antwort kommt prompt: „According the weather forecast the next days should be 19-23 C, wind from west and sunny. Some showers might occure.“

Kurze Regenschauer - Some showers might occure, das schrieb ja Sauli - unterbrechen ab und zu das schöne Wetter. Am Horizont kriechen Raupen gleich schwere Wolken, aus denen fein und schwarz der Regen wie an Schnüren niedergeht.

Bei meiner Inselerkundung stelle ich fest, dass sich seit meinem ersten Aufenthalt nichts verändert hat: Die Steine am Lagerfeuer liegen immer noch so, wie ich sie vor sieben Jahren hin geschoben hatte. Unter einem Stein finde ich auch eine – nicht von mir - deponierte Gaskartusche, wieder.

Es folgt eine ruhige Nacht, ich freue mich auf den nächsten Urlaubstag. Doch was verrät mir am Morgen mein kleines Barometer? Der Luftdruck fällt ohne Ende und immer schneller. Die Windrichtung wechselt plötzlich, jetzt bläst er genau auf die Längsseite meines Zeltes. Unruhig blicke ich auf den schon leicht brodelnden See. Zum Zeltabbau und zur Weiterfahrt nach Suovasaaret zur Hütte reicht es nicht mehr. Auch kann ich das Zelt auf dem steinigen Untergrund nicht neu ausrichten.

Unwetter

Das Wasser wird immer wilder und der Wind heftiger. Der Inari kocht. Ich kann mich nicht mehr auf den Beinen halten und verkrieche mich ins Zelt. Hat Ukko Donnergott mal wieder heftigen Ärger mit seiner Frau Rauni? 

Dann setzt der Regen ein. Wie eine weiße Dampfwalze rollt die Gischt über den See und schüttet sich bei stärkstem Wind auf mein Zelt. Some showers might occure, echot es durch meinen Kopf. Nicht nur das Regenwasser prasselt gegen die Längsseite, sondern auch das aufgepeitschte Seewasser wird zusätzlich von dem Sturm über die Insel gefegt und drückt sich gegen die Lüftungsschlitze. Zu meinem Entsetzen regnet es im Zelt! Vor Schreck vergesse ich das Fluchen.

Die Isomatte schwimmt schon. Im nassesten Sturm muss ich raus, um mit einer Folie die Zeltseite dicht zu machen. Bei dem Wind keine leichte Aufgabe. Auch muss ich das Zelt von außen an den Stangen festhalten, damit es nicht wegknickt! Die Zeltstangen geben gefährlich nach. Auf die Spannleinen rolle ich dicke Steine, weil die Heringe in dem nassen Boden nicht mehr fassen. Da sind die zottigen Gnome, die hier unter der Erde leben, über meinen Besuch aber ganz schön sauer, dass sie meiner Behausung keinen Halt mehr geben wollen. Jetzt fluche ich, so laut ich kann. Es hört mich sowieso keiner... 

So vergehen mehrere Stunden, bis der Sturm endlich etwas nachlässt und ich wieder ins Zelt zurück kriechen kann. Ich bin völlig fertig, durchnässt und heiser. Im Zelt sieht es nicht viel anders aus. Endlich am Nachmittag beruhigt sich langsam das Wetter. Der schlimmste Sturm ist vorbei.

Wieder Flucht

Das Wetter am nächsten Morgen ist immer noch schlecht. Dennoch riskiere ich die kurze Bootspassage zur Hütte nach Suovasaaret und flüchte ich in meinen völlig nassen Sachen. Das Zelt lasse ich stehen. Ziemlich kühl ist es geworden. Dabei ziehen schwarzgraue Regenwolken über den Himmel. Auf Suovasaaret habe ich Glück, denn die Schutzhütte ist frei.

Am Nachmittag kommt endlich wieder die Sonne zum Vorschein. So kann ich meine feuchten Sachen trocknen, wage es sogar, meine Hängematte zwischen zwei Birken zu spannen. Über Mobiltelefon informiere ich Sauli über meinen neuen Standort. Spontan lädt er mich zu einer Bootstour abends ein. Das Ziel sei eine Höhle auf der Insel Korkia Maura, wo echtes Eis von der letzten Eiszeit sein soll!

Spuren der Eiszeit

Später am Abend taucht Sauli mit seiner kleinen „Mücke“, seinem schnellen Sportboot auf. Mit dabei sind noch einige Freunde von ihm. Der Schiffsrumpf der „Mücke“ ist aus einem Polyesterguss, hinten dran hängt ein 50-PS-Motor. Gott Ilmarinen schenkt uns allerbestes Wetter: Der See ist glatt, der Himmel blau, und wir hüpfen rasend schnell über das Wasser in Richtung Eiszeit.

Auf Korkia Maura müssen wir eine kleine Wanderung machen, bis wir vor einer riesigen Steinhalde stehen. Diese gigantischen Findlinge liegen hier zu einem überdimensionalen Haufen zusammen geschoben, überall sind Spalten und Höhlen. An einer markierten Stelle müssen wir klettern und kommen so in das Innere des Steinlabyrinths. Zum Glück erleichtern Holztreppen die Kletterei. Sauli hat eine große Taschenlampe mit dabei.

Nach kurzer Zeit erreichen wir einen Höhlenraum, und wirklich - der Boden besteht aus Eis, aus wohl über 12.000 Jahre altem Eis! Die Fläche ist nicht besonders groß, vielleicht einige Dutzend Quadratmeter, aber das Gefühl auf Eis der letzten Eiszeit zu stehen, ist für mich etwas besonderes. Die Dicke des Eises soll ungefähr 15 Meter betragen. Früher diente diese Eishöhle den Seesamen als Kühlschrank für ihr erlegtes Wild, heute trinken hier Touristen eisgekühltes Lapin Kulta, wenn sie welches mit dabei haben. Auch die anderen sind beeindruckt. Nach einiger Zeit wird es uns eiskalt, und wir klettern durch die Spalten zurück. Ob Biging von dieser Eishöhle wusste?

Mondkartoffel

Währenddessen ist der Mond aufgegangen und hängt wie eine riesige zerfurchte Kartoffel dreiviertel voll über dem Horizont. So habe ich den Mond noch nicht gesehen. Sauli wundert sich ein wenig über meine Begeisterung. Über den abendlichen See flitzen wir langsam zurück. Aber auch Biging ist von dem Mond über Lappland beeindruckt:

„Einen Augenblick taucht im Südosten einen riesengroßer gelber Mond aus den Wolken, baut seine silberne Strahlenbrücke und verschwindet wieder.“ (S. 153)

 

 

 

Jetzt wachsen viele Bäume auf der Insel von Ukko Gottvater.

Zelten auf der Ameiseninsel.,

 

... während das Boot zwischen umgestürzten Bäumen fast im Sumpf versinkt.

Die von mir vorgefundene  Lapinkota auf Akusaari.

Mit dem Holzboot und 4 PS über den Inari.

Ready For Take Off: der Inari-Pilot Reijo Raumala.

Essen am Lagerfeuer.

Nach dem Unwetter ist alles nass!

Vorsichtig geht Sauli über den Eispanzer aus der letzten Eiszeit.

 

Ein Ladekai des Erzwerks in Kirkenes.

 

 

Steil fällt die Küste bei Pummanki zum Eismeer ab.

Der Wasserfall Menikkakoski im Paatsjoki. 

Blick auf das Eismeer bei Pummanki.

Zur Eismeerküste

Lappenbeschreibung

Biging setzt seine Reise über Land gen Norden weiter fort. Nicht gerade zimperlich beschreibt er eine Samendame:

„Es ist eine recht schmutzige Lappenhütte, es riecht darin nach einer Mischung von saurer Milch, Hühnermist und ungewaschenen Füßen. Ein krummes altes Lappenweib ist im Zimmer, sie sieht aus wie die Hexe aus “Hänsel und Gretel„, sie gehört sicherlich zu den Leuten, die bloß zweimal in ihrem Erdenwallen gewaschen werden: das erstemal von der Hebamme, das zweitemal von der Leichenfrau. Aber damit übertreibe ich sicher, so oft kommt diese alte Dame bestimmt nicht mit Waschwasser in Berührung. Trotzdem ist sie eine nette Frau.“ (S. 87)

Erzwerk und Streik

Über Neiden kommt er nach Kirkenes. Dort streikt schon seit einem Vierteljahr die Belegschaft des Erzwerkes, des Hauptarbeitgebers der Region:

„Die einzigen Leute, die hier wirklich arbeiten sind die Arbeiter des Erzwerkes (...) Man kann leicht ausrechnen, wie viele Leute nichts tun, denn der Ort zählt 3000 Einwohner, von denen in Zeiten guter Konjunktur höchstens 1000 bis 1200 für das Werk tätig sein können; in Wirklichkeit ist diese Ziffer wohl noch nie erreicht worden.“ (S. 119)

Die Arbeiter wollen einen Tarifvertrag, die Arbeitgeber lehnen dies aus Rentabilitätsgründen ab. Durch die soziale Gesetzgebung in Norwegen haben die Arbeiter einen langen Atem, auch geht es in der Stadt ruhig zu.

Nach 1945 herrscht dann in Europa eine große Nachfrage nach Eisenerz, Kirkenes wird zum Boomtown - die Erzgruben von Bjørnevatn bescheren der Stadt bis in die achtziger Jahre goldene Zeiten. Doch es kommt zur Rezession. Die Belegschaft der Sydvaranger AS sinkt von 1.200 auf 300 Beschäftigte. 1996 werden die Gruben still gelegt.

Im August 1997 erlebt Kirkenes noch einmal eine volle Stadt, alle Gästebetten sind belegt. Aber es sind die Geier, die sich um das Aas streiten: Der komplette Maschinenpark der Erzgruben wird versteigert, aus der ganzen Welt kommen die Bieter. Aktuell (2003) geht das Gerücht, ob die Gruben übernommen werden. Es bleibt spannend in der Region.

Gefährliches Spucken

Kritisch betrachtet der Mediziner Biging die Gesundheitsverhältnisse in Kirkenes:

„Es herrscht viel Rheumatismus, und seit der Industrialisierung der Gegend haben auch Geschlechtskrankheiten stärkere Verbreitung gefunden. Die Tuberkulose ist ein häufiger Gast. Namentlich werden die Lungen befallen, doch auch Knochenaffektionen sind keine Seltenheit. (...) sind die Hauptursachen Spucken auf den Fußboden und andere Unsauberkeiten, schlechte soziale Verhältnisse, Mangel an Aufklärung.“ (S. 122)

Reise auf die Fischerhalbinsel

Biging reist von Kirkenes weiter erneut nach Finnland ein. Jetzt ist er an der Eismeerküste am Petsamofjord. Petsamo (heute Petschenga) ist eine von Finnland verwaltete neutrale Zone und der einzige eisfreie Hafen. Im 2. Weltkrieg verliert Finnland das Gebiet im Norden an Russland.

Mit Skepsis sieht Biging die vom Menschen verursachten Schäden an der nordischen Natur:

„Selbst mit diesen kümmerlichen Vegetationsresten [Birkenwald] hat die Bevölkerung Raubbau betrieben und namentlich in der Nähe der Siedlungen alles weggehackt., was sie zum Brennen brauchen konnte. Da der Zuwachs der Birke sehr langsam geschieht und nicht mit der Abholzung Schritt halten konnte, ist die Fischerhalbinsel heute eine öde Fläche.“ (S. 127)

Bigings Visionen zu Petsamo werden sich später nicht erfüllen:

„Dieser eisfreie Hafen kann für Finnland noch einmal große Bedeutung bekommen. (...) Wenn Finnland erst so weit ist, die Eisenbahn von Rovaniemi bis ans Eismeer zu führen, und wenn der Handel aus Nordsibirien so weit ist, daß er eine regelmäßige Küstenschiffahrt verlohnt, dann kann Petsamo für den europäischen Handel eine wichtige Umschlagstelle werden. Der Ausbau der Eisenbahn würde die Schaffung eines Nordexpreß möglich machen, so daß man imstande wäre, die Strecke von Genua bis zum Eismeer in ununterbrochener Fahrt mit der Eisenbahn zurückzulegen.“ (S. 124) 

Kurz und knapp ist seine Beschreibung von der Insel Heinäsaaret:

„Sie ist ein großes flaches Eiland, nur wenige Hütten und ein Leuchtturm stehen drauf. Zur Brutzeit nisten hier ungeheure Mengen von Seevögeln. Am Strand liegt zur Zeit der Ebbe ein breiter Streifen von Tang bloß.  Es stinkt kannibalisch, und man muß beim Überschreiten dieser glitschigen sehr aufpassen, daß man nicht lang hinschlägt.“ (S. 127)

Bei Pummanki wandert und klettert Biging in der Gegend umher bis zu einem Punkt, den er „Höhe 263“ nennt:

„Ist im Inneren von Lappland die vorherrschende Farbe des Himmels und der Erde in der Abendbeleuchtung goldiges Gelb, so wird hier an der Eismeerküste alles in rosenrote und violette Tinten getaucht. Weit erstreckt sich die leicht gewellte Hochebene. Tief unten schwingen die gebogenen Küstenlinien, im Nordwesten weitet sich die unabsehbare Fläche des Eismeeres.“ (S. 129)

Biging muss die Landschaft so intensiv beschreiben, denn er hat seinen Fotoapparat auf dem Schiff liegen gelassen und kann folglich keine Fotos machen. Von der Ehrlichkeit der Finnen ist er begeistert. In Rovaniemi muss er z. B. sein reichliches Gepäck am Bahnhof unbeaufsichtigt lassen. Bei seiner späteren Wiederkehr ist noch alles unversehrt da:

„Als Scherz erzählt man sich, man könne in Finnland seine Uhr auf der Chausee verlieren, und wenn man nach einem Jahr wieder vorbei käme, hinge sie aufgezogen am nächsten Baum.“ (S. 129)

Seinen Fotoapparat bekommt er am nächsten Tag wieder.

Lapplands Zauber

Mit der Christianisierung in Lappland verschwand der Zauber aus Lappland, der Urglaube musste dem Christentum weichen. Ukko Donnergott schmunzelt eigentlich nur darüber, er kennt ja seine Finnen. Trotzdem fängt er an, sich doch ein bisschen Sorgen zu machen. Biging zum Zauber:

„Heute wird nicht mehr gezaubert, nur manchmal ganz heimlich, damit der Pastor nichts davon erfährt. In jenen Zeiten waren die magischen Kräfte weit stärker, damals, als man noch das Opferholz an den heiligen Steinen aufrichtete, ein krummes Holz von der Gestalt eines Bootskiels, das 'Geisterboot'. Wenn der Götze ein lebendiges Opfer forderte, richtete man das Opferholz auf, band das Tier daran und schlug ihm nach einer langen feierlichen Rede mit der Axt den Schädel ein. Dann bestrich der Zauberer Holz und Stein mit dem Blut, kochte das Fleisch, schnitt es in Stücke, band es an Reiser und hing es ans Holz. Mächtige Männer waren diese Zauberer, gefürchtet überall, namentlich die Akkala-Lappen; zu ihnen veranstalteten sogar die christlichen finnischen Bauern Wallfahrten. Eine alte Rune warnte: 

Reise nimmer, mein Sohn,
Ohne Kenntnis des Zauberns,
Ohne Weisheitsbesitz,
Zu den Feuern der Nordsöhne,
Zu den Marken der Lappen,
Sonst verzaubert dich dort der Lappe!“ (S.135)

Wasserfälle und Stromschnellen

Von Petsamo aus kommend reist Biging wieder südwärts. Dabei passiert er „zwei imposante Wasserfälle und Stromschnellen“ (S. 137), Maitokoski und Menikkakoski: 

„Das Herumführen der Boote um die Wasserfälle läßt genügend Zeit, die donnernden Wunder zu betrachten. Namentlich die Menikkakoski imponieren durch ihre Höhe und Breite, ungeheure Wassermengen stürzen mit urweltlichem Brüllen über die hohen Felsen. Die vielgerühmten Schnellen von Imatra und Vallinkoski reichen nicht an dieses Schauspiel heran.“ (S. 138f)

Nach dieser Tour zur Eismeerküste in das Petsamogebiet kehrt Biging zum Kirchdorf Inari zurück. Er bereitet sein Faltboot für den Inari-See vor:

„(...) mein Zelt mit, Zucker, Dörrobst, Knäckebrot, Maggisuppen, Photomaterial, Schlafsack und Decke und einen Satz Reservewäsche.“ (S. 145)

An einem Montagmittag legt Biging vom Kirchdorf ab und steuert die Insel Hoikka Petäjäsaari an.

 

 

 

Touristen an den stillgelegten Erzgruben.

Bigings Reiseroute. 

(Für eine größere Darstellung bitte das Bild anklicken.)

 

Die Einödkirche

 

Der verlassene Kirchenraum.

 

Hier saßen die Kirchgänger.

 

Curt Biging mit einem großen Lachs vor der Hütte auf Hoika Petäjäsaari. 

Das Foto ist  im Buch spiegelverkehrt.

Der Autor an der selben Stelle mit leeren Händen und Hunger auf Fisch!

Robinson auf dem Inari-See

Überlebensanzug und Schutzhütte

So möchte ich zum Ende meiner Reise die beschriebene Stelle in Bigings Buch, die Insel Hoikka Petäjäsaari, aufsuchen und starte meinen launigen 4-PS-Motor. Allerdings ist mir der finnische Wettergott mal wieder nicht wohl gesonnen. Über den recht buckeligen See fahre ich zur Insel Hoikka Petäjäsaari. Ein bunter Überlebensanzug schützt mich vor Nässe und Kälte, allerdings nicht gegen die Kopfschmerzen, die ich vom ewigen Aufschlagen des Bootes auf das Wasser bekomme.

Zwischen den Inseln wird das Wasser zwar ruhiger, aber die Untiefen verhindern eine schnellere Fahrt. Endlich erreiche ich Hoikka Petäjäsaari. Hier war also Curt Biging vor ungefähr 75 Jahren. Die autiotupa – die Schutzhütte - steht immer noch; nur der Windfang scheint aus neuerer Zeit.

Drinnen sind zwei Etagenbetten, ein Tisch und ein Bollerofen. Einigermaßen ordentlich sieht es hier aus. An den schwarz geräucherten Wänden finden sich viele Inschriften, Namen mit Jahresabgaben. Trotz intensiver Suche keine Signatur von Curt Biging. Die ältesten, die ich entdecken kann, stammen zwar auch aus den zwanziger Jahren, aber es sind finnische Namen:

„Man hat reichlich Auswahl zwischen Poesie und Prosa, (...) denn die Sorte von Schriftstellerei (...) ist meist von einer so robusten Art, daß sie zarten Gemütern nicht gerade empfohlen werden kann.“ (S. 158)

Biging ist von der Hütte aber nicht begeistert:

„In der Hütte sieht aus wie im Schweinestall, der Tisch am Fenster klebt vor Dreck. Brennholz und Reisig liegen im ganzen Raum verstreut, fettiges Papier, ein paar undefinierbare Lumpen. Vom Tisch ist ein Brett losgeschlagen, die obere der beiden Schlafpritschen in der Ecke am Fenster besteht nur noch aus einem Rahmen ohne Boden.“ (S. 148f)

Einige Tage bleibt Biging hier, reinigt die Hütte und angelt kräftig Lachse:

„Alle Tage Lachs wird einem auch über“ (S. 148)

Am Ufer sitze ich auf Holzbänken, die um eine Feuerstelle herum aufgestellt sind. Der Blick ist herrlich, aber es fängt an zu regnen. Biging hat vor Ort mehr Pech mit dem Wetter. Eines Tages fährt er zum Angeln hinaus; mit dabei hat er:

„(...) Karte, Kompaß, Streichhölzer und ein paar Zigaretten.“ (S. 152)

Auf Höhe der Inselgruppe Silkasaari (Nicht unter diesem Namen auf der Karte verzeichnet) holt ihn ein heftiges Unwetter ein. Es wird finster um Biging:

„Es ist richtige Nacht, der See um mich ist schwarz wie Tinte, von weißen Schaumkronen geriffelt.“ (S. 153)

Ganz erschöpft und immer noch gegen die Wellen kämpfend muss Biging am nächste Morgen feststellen, dass er seine „Kräfte überschätzt und den Sturm unterschätzt“ (S. 153) hat. Er war davon überzeugt, dass er „die Sonne des nächsten Tages nicht sehen würde.“ (S. 154). Außerdem verliert er völlig die Orientierung.

Wie Biging später erkennt, ist er im Sturm bis an das westliche Festland getrieben worden. Physisch und psychisch am Ende muss er gut acht Stunden bei immer noch welligem See südwärts zurück paddeln.

„Des Teufels Kochtopf“

Mit zwei deutschen Freunden, die ihn auf Hoikka Petäjäsaari besuchen, verbringt Biging weitere Tage in der Hütte. Aber das Wetter ist immer noch erschreckend:

„Die Nacht ist finster, der Wind geht nicht laut, aber durch die Stille der Dunkelheit hört man von Norden das Getöse der Brandung wie das Gebrüll von wilden Tieren. Es ist kein Geräusch, es ist ein Tönen, es steckt etwas Organisches, Bewußtes, Drohendes darin, als wären es nicht toter Stein und totes Wasser, die dieses Tosen verursachen.“ (S. 160)

Die Rückfahrt nach Inari fasst Biging als eine Fahrt durch des „Teufels Kochtopf“ (S. 162) zusammen. Auf jeden Fall freuen sich Biging und seine Begleiter auf guten Rückenwind, als sie die Insel Ukko passieren. Aber der Wettergott spielt ihnen hier wieder einen Streich, eine totale Flaute setzt ein, und eine mühselige Paddelei folgt. Abends im Dunkeln erreichen sie endlich das Kirchdorf Inari.

Die Einödkirche

Biging will mit drei anderen deutschen Reisenden die Einödkirche Pielpajärven Erämaakirkko, nordöstlich vom Kirchdorf gelegen, besuchen. Kein Hinweis in der Karte, kein Weg, keine Schilder deuten auf die verlassene Einödkirche hin. Nach stundenlangem Herumirren brechen die Wanderer den Versuch ab. Dabei hat sich Biging zuvor gerühmt, die Einödkirche sogar ohne Kompass zu finden:

„Wir waren an diesem Abend noch höflicher zueinander als sonst, und wenn Männer in der Wildnis ganz beängstigend höflich werden, ist das immer ein Zeichen, daß das Pulverfaß offen steht.“ (S. 165)

Allein wagt Biging später einen neuen Versuch und übernachtet in der Bucht Pielpavuono in der Nähe der Einödkirche. Dort markiert er für spätere Wanderer die Landungsstelle und den Weg hinein in den Wald:

„Ohne genaue Angabe ist die Stelle wirklich nicht zu finden.“ (S. 166)

Bunter Wanderweg

Bei schönstem Wetter lande ich in der Bucht Pielpavuono. Bei einem schwarzen, rechteckigem und Lastwagen großen Findling kann ich anlegen. Hier ist ein Grillplatz eingerichtet, und eine finnische Familie brät ihre frisch gefangenen Fische über dem flammenden Feuer.

In nordöstlicher Richtung wandere ich los. Bei den vielen farbigen Markierungen beidseitig des breit ausgetretenen Wanderweges werde ich fast farbenblind, auch liegen lange schmale Holzplanken über die sumpfigen Böden. Keine Möglichkeit sich zu verlaufen; die Einödkirche scheint gut in das lokale Touristikangebot eingebunden zu sein.

Der Fußmarsch dauert eine gute Stunde und führt durch eine wunderschöne lappländische Landschaft, von der auch Biging schwärmt:

„Der Weg nach der alten Kirche gehört zu den schönsten Strecken der Gegend; das Gelände ist hügelig, zahlreiche Seen sind in die weiten Wälder eingebettet.“ (S. 166)

Der Wald ist still. Einsam und allein wandere ich durch die Tundralandschaft. Hinter einer Biegung passiere ich eine alte Hütte, ein große Lichtung mit grünem Gras und blauen Blumen schließt sich an. Und plötzlich am Ende der Wiese sehe ich endlich die verlassene und über 340 Jahre alte Einödkirche!

Auf dieser Lichtung trafen sich früher die Leute vor dem Gottesdienst. Mittlerweile zerfallene Gebäude zeugen noch von dem Gemeinschaftsleben. Die hölzerne Einödkirche selbst aber sieht aus wie auf den Fotos im Buch. Auf den ersten Blick hat sich hier nichts verändert, braunschwarz sind die zerfaserten Holzplanken. Die Kirche scheint in ihrer Bauweise eine Mischung aus den norwegischen Stabskirchen und den orthodoxen Gotteshäusern Russlands zu sein. Hier im Urwald hat die Kirche eher etwas Unheimliches an sich. Vielleicht ist das die Burg der Gnome?

Schreck in der Wildnis

Und prompt erschrecke ich mich hier in der Einöde fast zu Tode: Urplötzlich taucht hinter mir eine Gruppe junger Frauen auf. Touristinnen aus Neuseeland auf der Durchreise. Ihre Sprache soll Englisch sein, ich verstehe kein Wort. Nett, keck und weg sind sie.

Im Vorraum der Kirche hockt im dicken Norweger-Pullover ein finnischer Junge lesend am Boden. Er heißt Tatu, ist 16 Jahre alt und macht hier seinen Ferienjob. Er verkauft Postkarten und Informationsmaterial zur Kirche. Bezahlt wird er von der Gemeinde. Von ihm erfahre ich, dass die Kirche in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts verlassen wurde, weil im Kirchdorf die neue Kirche erbaut worden war. In dem Zustand fand sie Biging dann etwa 50 Jahre später vor. Aber, das verrät mir Tatu, die Kirche ist vor etwa 30 Jahren wieder restauriert worden - mit viel Liebe zum Detail, wie ich anhand der Holzmalereien im Kirchenraum erkennen kann.

Autogramme im Glockenturm

Wie viel Leute waren heute hier, möchte ich wissen. Heute habe er mit mir 13 Leute registriert, zwei Tage zuvor waren es sogar 88 Besucher, erzählt er. Ich fotografiere die Kirche und klettere in den Glockenturm. Das alte Holz im Gebälk ist hart wie Stein. Auch hier sind ganz viele Autogramme und Sprüche von verewigungsfreudigen Menschen, die sogar mindestens  bis 1897 zurückreichen wie ich nach intensivem Studium feststellen kann. Aber wieder kein verschnörkelter Curt Biging.

Es ist 18 Uhr. Tatu macht Feierabend, packt seine Sachen, winkt mir zu und macht sich auf den Rückweg. Er geht den steinigen Waldweg in südwestliche Richtung zum Kirchdorf zurück, bis zum Zentrum immerhin etwa zehn Kilometer - bis zum Parkplatz etwa fünf Kilometer. Jetzt stehe ich wieder allein bei herrlichem Wetter in diesem herrlichen Wald. Auf mich warten nur etwa drei Kilometer bis zu meinem Boot. Morgen muss ich wieder in Ivalo sein, da mich mein Rückflug wieder nach Deutschland bringt. Tschüss Inari, tschüss Ukko Donnergott.

Abschied

„Bald bellt nahe ein Hund; schon hörst du das Geschwätz der Menschen. Ein Auto stinkt und schüttert. Übermorgen wird eine Lokomotive fauchen.“ (S. 171)

Hinter dir bleibt eine lange, lange Nacht

und eine große

SEHNSUCHT

(Schlusssatz in Curt Biging, Inari – Eine Lapplandfahrt, Büchergilde Gutenberg Berlin, 1930)

 

***

Epilog

Curt Bigings Reise ist hier zu Ende. Er machte sie im Sommer etwa 1927 oder 1928. Geboren wurde er am 3. Januar 1887 in Posen, praktizierte als Arzt und veröffentlichte mehrere Bücher u. a. mit den Titeln „Tiere, Sonnen und Atome“ (1930), „Ruach der Tiger“ (1928) und „Deutsche Vorzeit - Deutsche Gegenwart“ (1933).

Nach dem 2. Weltkrieg wurde er 1946 der erste frei gewählte Bürgermeister der Stadt Mölln und gehörte der SPD-Fraktion im Kreistag des Herzogtum Lauenburg an.

Er verstarb am 3. Oktober 1950 in Mölln.

***

Ein aufmerksamer Leser des Biging-Buches, Stefan Zeltner aus der Schweiz, weist freundlicherweise auf weitere Einzelheiten hin. 

Auf Seite 100 in seiner Ausgabe von 1930 steht:

„...aus altem Zeitungspapier Zigaretten drehen; die vertrockneten Pflanzenteile, die sie in die Hülsen wickeln, haben mit Tabak nur das gemein, dass sie klein geschnitten sind. Ich denke an den Stollen vor Verdun, aus dem ich rausgeworfen werden sollte, weil ich ein ähnliches Kraut rauchte. Hier würde die Mischung sichtlich als Delikatesse gewertet.“

Er schließt aus dieser Passage, dass Biging während des ersten Weltkrieges bei Verdun gewesen sein muss. Er geht davon aus, dass in Friedenszeiten sich kein Normalsterblicher so lange in einem Stollen aufhalte, dass er Lust verspüre, Zigaretten zu rauchen, um sich die Zeit zu vertreiben - es sei denn, er wäre Bergarbeiter. Biging war aber bekanntlich Arzt. Als der Krieg um Verdun am heftigsten wütete, war Biging 29 Jahre alt. Es ist denkbar, dass er als junger Arzt an der Front war.

Weiter steht auf Seite 133:

„In diesem einstmals rein russischen Landstrich wohnen die Koltlappen, die im Gegensatz zu Ihren anderen Stammesbrüdern griechisch-katholisch sind. Die Mehrzahl ihrer Hütten als Stall zu bezeichnen, hiesse das liebe Vieh beleidigen. Ich bin nicht mäklig und habe mich im Kriege ebenso gewissenhaft gelaust wie die anderen, ich bin auch nicht ängstlich, aber in eine Koltlappenhütte habe ich mich nicht hineingetraut. Die stets verschlossenen Fenster sind an allen Fugen mit Papier verklebt, damit ja nichts von der guten Luft da drinnen nach aussen entweicht. Der Berliner hat für diese Sorte Wohnungskultur die schöne Formulierung: Besser ein warmer Mief als ein kalter Ozon. Die Düfte in diesen Gemächern müssen berauschend sein wie Schmuggelschnaps. Ich entsinne mich noch mit Grausen gewisser Bauernstuben im Schwarzwald, wo ich geraume Zeit durch landärztliche Tätigkeit die Bevölkerung zu dezimieren mich bestrebte.“

Curt Biging arbeitete eine geraume Zeit im Schwarzwald. In dieser Zeit hat er wahrscheinlich auch den Abstecher nach München gemacht, von wo der Passus über Hitler stammt:

„In Krunuuntupa ist hinreichend für Lektüre gesorgt. Mit Bleistift geschriebene Dokumente auf den Holzwänden und Pfosten legen Zeugnis für die schriftstellerische Begabung der Eingeborenen ab. Man hat reichliche Auswahl zwischen Poesie und Prosa, aber leider reichen meine finnischen Sprachkenntnisse nicht weit genug, um den Inhalt der Literaturdenkmäler zu entziffern. Hoffentlich steht die Wandliteratur auf einer höheren Stufe als in München auf dem Hauptbahnhof, wo das unkomplizierte, aber sinnige bajuvarische Gemüt sich auf der Herrentoilette mit den schlichten Wandsprüchen “Heil Hitler! Nieder mit Ebert!„ begnügte.“ (Seite 158)

Der letzte Satz ist übrigens in den späteren Auflagen gestrichen worden.

Vielen Dank an Stefan Zeltner, Trin in der Schweiz! 

***

Von Curt Biging fand ich keine weiteren konkreten Hinweise am Inari-See. Gerne hätte ich weiter geforscht, aber mein Reisebudget erlaubte keine intensiveren Recherchen. Wegen des engen Zeitrahmens und meiner Unerfahrenheit im Umgang mit einem Kanu zog ich es vor, mit einem motorisierten Boot die Stellen auf dem Inari-See abzufahren. 

Wenn Leser diesem Bericht noch weitere Informationen  hinzu fügen können, schreiben sie mir dies bitte mit Nachweisnennung an meine E-Postadresse:

BigingInari@nordlandseite.de

 

***

Herzlichen Dank für ihre Unterstützung bei den Recherchen zu dieser Geschichte:

Sauli Pätilä und seiner Familie, im Feriendorf „Pätilän Mökit“ auf Uruniemi bei Inari

Tapani Lappalainen und seiner Frau Pirjo, Inari

Stadtarchiv der Stadt Mölln

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Die finnischen Götter beschreibt der Finne Arto Paasilinna in seinem herrlichen Buch: 

Der Sohn des Donnergottes

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach, deutschsprachige Ausgabe 2001, im Original 1984 (WSOY, Helsinki), 

ISBN 3-404-92082-1

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Das Buch von Karl Heinz und Maria Kramberg ist neu aufgelegt worden:

Lieber in Lappland

Der Winter auf der Fuchshalbinsel. Ein Experiment mit dem möglichen Glück.

J. Latka-Verlag Bonn, Überarbeitete Auflage 2002

ISBN 3-925068-57-0

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Gelegentlich wird das Biging-Buch bei ebay angeboten, auch ist es wie andere Biging-Titel bei abebooks zu finden. Die 1. Auflage stammt von 1929, zuletzt wurde es 1934 aufgelegt. Inhaltlich gibt es einige Unterschiede zwischen den Auflagen. 

Als Vorlage für diese Geschichte dient die Ausgabe von 1930.

 

Autor: Th. Bujack
Alle Schwarzweißfotos sind dem Buch entnommen.
Copyright der Farbaufnahmen: NORDLANDSEITE
Veröffentlichung und Verbreitung nur mit Einverständnis des Autors!

Alle Rechte bei der  NORDLANDSEITE, 2003

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Die autiotupa auf Hoika Petäjäsaari - bei mir machte sie einen brauchbaren Eindruck.

Diese finnischen Signaturen sind  von 1934 und 1936.

Holzplanken führen über den sumpfigen Waldboden.

Im Turm fehlt die Uhr.

 

Liebevoll restauriert...

 

...ist mittlerweile der Innenraum.

 

 

Tatu verkauft Postkarten und Infomaterial zur Kirche.