Es
ist schon eine lange Fahrt durch den Norden gewesen , als ich
im Sommer 1990 schließlich zur finnischen Seenplatte komme.
Dort will ich meinen Freund Risto und seine Familie
besuchen, die in der Nähe von Ristiina auf einem Bauernhof
wohnen. Der Hof mit dem
Namen Mäkelä ist vor vielen, vielen Jahren von Ristos Großvater hier erbaut
worden. Drei mächtige Birken zeugen von der Hofgründung. Risto lebt hier mit
seiner Frau Päivi und seinen Kindern Timo-Tapio, Veli-Matti und Anne-Kaisa. Im
Winter wohnen auch seine Eltern mit im Haus, während sie den Sommer in einer
kleinen Holzhütte direkt am Ufer des Routimolahti verbringen. Dieser Sommer ist
herrlich sonnig, und Luft und Land verbreiten eine angenehme Wärme. Mein Zelt
brauche ich nicht aufzubauen, denn ich darf in einer kleinen Holzhütte auf dem
Hofgelände schlafen. Nach der bis dahin schon erlebnisreichen Reise kann ich
ein bisschen Komfort und Ruhe gebrauchen.
Wunsch
Beim Mittagessen erzählt mir Risto in seinem hervorragenden
Schuldeutsch, dass hier in der Gegend eine
„totale
Sonnenfinsternis“
zu sehen sei. Er lädt mich ein, diese mit
ihm und seiner Familie zu beobachten. Für mich, der das
nicht gewusst hat, ist das eine Riesenüberraschung. Früher
als Junge hat mich die Himmelskunde interessiert. Damals
unternahm ich mit dem Teleskop Reisen zum
Mond, zu Planeten
und fernen Sonnen. Mein größter Wunsch ist es seitdem
gewesen, eine totale Sonnenfinsternis zu sehen. Und dazu
habe ich jetzt hier die Gelegenheit, mein Traum soll in
Erfüllung gehen.
Ohne
Weckergeläut werde ich um vier Uhr morgens wach. Risto, seine Familie und ich
fahren zuerst zu einem anderen Hof in der Nähe. Dort warten natürlich auch
andere auf dieses kosmische Schauspiel. Der
Himmel ist strahlend blau. Viele Flugzeuge kreisen in der
Luft. Risto erzählt, dass in ganz
Finnland kein Platz mehr
in einem Flugzeug zu bekommen gewesen sei, alle Flieger sind
wegen der Finsternis ausgebucht.
Verflixtes Wolkenband Da, wo die
Sonne aufgegangen ist, versteckt sie sich prompt hinter einem Wolkenband. Sonst
ist außer dieser meteorologischen Gemeinheit und den weißen Kondensstreifen
der Flugzeuge keine weitere Wolke am Himmel zu sehen. Risto schlägt einen
anderen Standort vor, eine kleinen Erhebung mitten im Wald. Aber auch dort
verdeckt dieses verflixtes Wolkenband die Sicht auf Sonne und Mond. Meine
finnischen Freunde haben sich extra für
fünf Finmark einen
unbelichteten, entwickelten Diafilm gekauft. Die kleinen
schwarzen Dias haben sie über augengroße Löcher in
Papptellern geklebt. Damit soll die Beobachtung der Sonne
für die Augen schadlos sein. Der
Mond hat sich langsam weiter vor die Sonne geschoben. Die
Wolken sind immer noch da, doch das Tageslicht scheint sich
zu verändern. Es wird zwar nicht dunkler, aber das ist
nicht das Licht, wie ich es zu kennen glaube. Es ist
irgendwie diesig. Immer näher kommt der Zeitpunkt der
totalen Verfinsterung. Jeder ist aufgeregt, schließlich
erlebt man so etwas nicht alle Tage. Auf einem Gehöft in
der Nähe hören wir die Kühe brüllen. Ein Hund dort bellt
und jault. Das Zirpen der Grillen im Wald verstummt.
Finster Schlagartig
ist das Licht weg! Es ist nicht dunkel, es ist finster! Von
Risto, der nur einen Meter neben mir steht, kann ich nichts
mehr erkennen. Im Wald ist es nun totenstill. Nur das Jaulen
des Hofhundes durchschneidet einmal laut die Lautlosigkeit.
Es ist, als ob jemand das Licht ausgeschaltet hat. Mich
fröstelt es. Liegt es an dem fehlendem Sonnenlicht oder an
der tiefschwarzen Dunkelheit? Meine Augen empfinden alles
als schwarz. Auch die anderen trauen sich wohl nicht, sich
zu bewegen. Von ihnen ist jedenfalls nichts zu hören. Sind
sie überhaupt noch da? Zwischen Frösteln und Faszination
mischt sich doch ein bisschen Unwohlsein. Kann man da vorne
nicht runterfallen? In meiner Erinnerung glaube ich dicht
vor einen steilen tiefen Abgrund zu stehen. Unwillkürlich
spannen sich meine Muskeln an. Ich starre in
die Richtung, wo mal die
Sonne gewesen ist. Immer noch kann ich nichts erkennen.
Dabei sollen jetzt wieder die Sterne sichtbar sein. Sogar solche Sterne sollen
nun zu sehen sein, die hinter der Sonne stehen und deren Licht durch die
ungeheure Anziehungskraft der Sonne abgelenkt wird. So steht es jedenfalls in
einer finnischen Zeitung, aus der mir Risto vorgelesen hat. Außerdem bedauere
ich es jetzt, dass ich nicht meine Spiegelreflexkamera mit dem Teleobjektiv
dabei habe. Trotzdem versuche ich mit meiner kleinen Sucherkamera mit dem
Weitwinkelobjektiv ein Foto zu machen. Es ist schon paradox, mit Blitzlicht die
Schwärze zu dokumentieren. Und
dann, wie der Lichtstrahl eines Leuchtturmes in der Nacht,
flammt das Sonnenlicht wieder auf. Der Himmel wird
blitzschnell wieder blau, die Grillen beginnen wieder an zu
zirpen, und die Finsternis ist wieder weg. Der vermeintliche
Abgrund ist doch ein gutes Stück entfernt und entpuppt sich
als flacher Hügel, auf dem Ristos Kinder sitzen.
Pappteller Meine
anderen finnischen Freunde stehen nach wie vor um mich
herum. Sie sind auch hellauf begeistert von dem rund neunzig
Sekunden dauerndem Ereignis. Es ist schon lustig zu sehen,
wie die anderen mit den präparierten Papptellern als
Lichtschutz vor dem Gesicht in Richtung Sonne blicken. Hier in
Finnland war die Finsternis recht früh. Denn eine
europäische
Versicherung gab später die Meldung heraus, dass
durch die plötzliche Änderung der Lichtverhältnisse bei
einer Sonnenfinsternis sich die Unfälle ebenso plötzlich
häuften.
Das
Wolkenband ist nun schmaler geworden. Die weiße Scheibe der
Sonne und die schwarze Scheibe des Mondes kann ich durch den
Lichtschutz gut erkennen. Der Mond bedeckt noch immer fast
die gesamte Sonne. Trotzdem reicht das Licht der schmalen
Sonnensichel aus, um alles wieder taghell zu erleuchten. Einige
Zeit noch beobachten wir, wie Sonne und Mond sich weiter
auseinander bewegen, dann fahren wir wieder zurück auf den
Mäkelä-Hof. Statt Schlaf gibt es erst mal ein leckeres
Frühstück, ein finnisches Sonnenfinsternis-Frühstück mit
Kaffee - so schwarz wie die Nacht!
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