Mystische
Vorstellungen rankten sich noch vor Jahrhunderten um den Norden. Schon die
Griechen erzählten die Sagen von den
Hyperboreern. Diese lebten
jenseits des Nordwindes, hatten ein herrliches Klima, feierten Feste, wurden nie krank und
hatten keine Feinde. Und wenn die Hyperboreer des Lebens überdrüssig wurden, stürzten
sie sich lachend von einem hohen Fels in den Tod. Diese Geschichten der Hyperboreer finden
sich in verschiedenen Formen wieder und sind stark mit Elementen der griechischen
Apollokultur vermischt. Der Ursprung des Namens ist in den Überbringern der Opfergaben an
das Apolloheiligtum in Delphi zu verstehen. Diese Boten hießen Perferoi oder
HYPER=FERO (=
Überbringer). Im Nordgriechischem wurde daraus Hyperforoi oder Hyperboroi. Dies
wurde dann mit dem Boreas, dem Nordwind, in Verbindung gebracht, und schon war das Volk
der Hyperboreer entstanden. Die Geschichten von den Hyperboreern hielten sich bis in das
11. Jahrhundert unserer Zeitrechnung:
Adam von Bremen nahm damals noch an,
dass die
Skandinavier die Hyperboreer wären.
Handelswege in den Norden müssen schon sehr früh existiert
haben. Vermutet wird u. a. eine Handelsverbindung von der Ostsee bis zum nördlichen
Schwarzen Meer. An der Westküste Europas finden sich Dolmen- und Schachtgräber aus der
Zeit um etwa 20001500 v. Chr., die sich über Sizilien, Korsika, Portugal,
Nordspanien, die Bretagne, die britischen Inseln, die Nordseeküste Germaniens, Dänemark
und bis in das südliche Skandinavien erstrecken.
Zinn und Bernstein
waren die Hauptgründe für diese Handelswege. Der nordische Bernstein wurde
hauptsächlich an der südöstlichen Küste der Ostsee, an der Westküste Jütlands und
den nordfriesischen Inseln gefunden. Dieser Bernstein könnte sogar auf alte, unbekannte
Wege bis nach Ägypten gelangt sein: In ägyptischen Gräbern der fünften Dynastie (etwa
3500 v. Chr.) sind Bernsteinperlen gefunden worden, die aus dem Norden stammen
könnten.
Der Sage nach sind
die
Bernsteine die geronnenen Tränen der Sonnentöchter. Ihrem Bruder
Phaethon war der
Sonnenwagen mit den Pferden durchgegangen. Darauf steckte er zuerst das Himmelsgewölbe in
Brand, wobei die Milchstraße entstand. Dann näherte er sich in wilder Fahrt der Erde,
zündete die Gebirge an, trocknete Seen und Flüsse aus, verbrannte die Sahara und sengte
die Einwohner Afrikas schwarz. Zeus setzte dem Spuk schließlich ein Ende. Die
Sonnentöchter jedoch weinten so viel um ihn, dass die Götter Mitleid bekamen und sie in
Pappeln verwandelten. Ihre Tränen wurden als Bernstein verwandelt weiter an die Ufer
gespült. Deshalb erhielt der Bernstein im Altertum den Namen Elektron, weil die Sonne
Elektor hieß.
Thales von Milet
(600 v. Chr.) entdeckte, dass der Bernstein, wenn man ihn rieb, andere Körper
anzog. Daher ist das Wort Elektrizität entstanden. Bei den Römern der Kaiserzeit stand
der Bernstein höher im Wert als der eines Sklavens.
Der Zinnstein wurde
damals u.a. in Cornwall im Süden der Britischen Inseln abgebaut. Zuerst wurde das Zinn
über den Seeweg in den Süden transportiert. Später nutzen die Griechen den Landweg in
Richtung Süden und gründeten so 600 v.Chr. die Kolonie Massalia, das heutige
Marseille, am Mittelmeer.
Der erste große
Nordlandfahrer der Geschichte ist der Grieche Pytheas von Massalia (oder
auch Massilia).
Dieser hervorragende Astronom und Geograph ist seiner Zeit weit voraus gewesen. Seine
Reise (oder Reisen?) in den Norden hat er in seinem Werk ÜBER DEN OKEANOS beschrieben.
Leider ist dieses Werk im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen. Doch durch die
Berichte späterer Forscher, Historiker und Zweifler lässt sich aber ein ziemlich gutes
Bild von Pytheas nachzeichnen:
Pytheas lebt in der
zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts v. Chr. und ist ein Zeitgenosse
Aristoteles und Alexander des Großen. Seine Reise oder Reisen in den Norden unternimmt er
etwa um 320325 v. Chr. Er will feststellen, wie weit sich die von
Menschen bewohnte Welt erstreckt und wo Polarkreis und Pol liegen. Die Griechen glauben
schon damals an die Kugelgestalt der Erde.
Pytheas ist der erste
Astronom, der Messungen durchführt, um die geographische Breite eines Ortes auf der Erde
zu bestimmen und dies mit erstaunlicher Genauigkeit! Diese Messungen führt er mittels des
Schattenwurfes einer Sonnenuhr durch. Er ist auch in der Lage, die geographische Breite
über den Polpunkt des Himmels zu bestimmen, um so nach den Sternen zu segeln.
Seine Reise führt ihn
wahrscheinlich durch die Säulen des Herkules, das heutige Gibraltar. Über die West- und Nordküste
Iberiens (Portugal und Spanien) segelt er in den unbekannten Norden. Dabei beobachtet er
das Phänomen von Ebbe und Flut und bringt als erster Grieche dieses Kräftespiel in
Verbindung mit den Mondphasen. Pytheas erreicht Brettanike (Britannien); und anhand seiner
Berichte über die Tages- und Nachtlänge lässt sich rekonstruieren,
dass er im Norden
Schottlands und auf den Shetland-Inseln gewesen ist.
Über die Quelle des
Geminos
von Rhodos (1. Jahrh. v. Chr.) erfahren wir folgendes Zitat aus dem
Originaltext von Pytheas, dass er sogar noch viel nördlicher gewesen sein
muss: "Bis
in diese Gegenden [d. h. nach dem Norden] scheint auch Pytheas von Massalia gekommen zu
sein. Wenigstens sagt er in der von ihm verfassten Abhandlung über das Weltmeer
(OKEANOS): Die Barbaren zeigten uns den Ort, wo die Sonne zur Küste geht. Es traf
sich nämlich [oder es geht dort nämlich so vor sich], dass in diesen Gegenden die Nacht
ganz kurz war, an einigen Stellen zwei, an anderen drei Stunden, so dass die Sonne nach
einer kurzen Zwischenzeit nach ihrem Untergang gleich wieder aufging."
Aus weiteren
historischen Quellen geht hervor, dass Pytheas Thule als das Land der Mitternachtssonne
beschrieben hat. Es liegt nahe, dass Pytheas wirklich in Thule, dem heutigen Norwegen,
gewesen ist: Er war ein exzellenter Beobachter, und er hatte wissenschaftliches Interesse
daran, die Ausdehnung der Ökumene zum Norden hin festgestellt zu wissen. Ebenso wollte er
die Phänomene der nördlichen Breitengrade mit eigenen Augen gesehen haben. Pytheas von
Massalia verschob damit die Grenze des Wissens der gelehrten Welt um etwa 16 Breitengrade
nach Norden!
Vielleicht war er
sogar noch weiter gereist, denn
Solinius (bei
Nansen ist der Lebenszeitraum auf ungefähr das 8. Jahrhundert datiert, andere
Quellen sprechen von einem Wirken Solinius' im 4. Jahrhundert) zitiert Pytheas
folgendermaßen: "Weiter über Thule hinaus stoßen wir auf das träge und
geronnene Meer (pigrum et concretum mare)." Dieser Satz lässt den
Rückschluss
zu, dass er mit seinem Schiff bis in Treibeisgewässer gelangt sein könnte. Da aber
Pytheas viele Geschichten über das Nordmeer von den Eingeborenen gehört haben könnte,
ist es eher wahrscheinlich, dass die Weitererzählung der Reise von Pytheas durch
griechische oder phönikische Vorstellungen gefärbt ist.
Pytheas
Reise(n)
führen weiter bis jenseits der Rheinmündung. Dort geht er auf einer Insel namens Abalos
an Land. Diese Insel könnte
Helgoland oder eher eine der schleswigschen Inseln gewesen
sein. Aber die Quellen (Plinius, Timaios) sagen über den Teil der Reise wenig aus.
Pytheas hat wie kein
anderer so weitreichende Entdeckungen gemacht. Er ist der erste Seefahrer, soweit die
Geschichtskunde reicht, der Großbritannien entdeckt hat, von dem vor ihm nur die
Südküste bekannt gewesen ist. Er war im Norden Schottlands und auf den Shetlands, hat
die Küsten Nordgalliens und Germaniens bereist und ist bis zum Polarkreis im Norden
vorgedrungen. Aber seine Beschreibungen von den neuen Ländern widersprechen den
allgemeinen Vorstellungen der damaligen Zeit. Im ganzen Altertum werden seinen
Entdeckungen nicht gewürdigt, nur wenige glauben seinen Erzählungen.
Erst später im Laufe
der Jahrhunderte, als sich der Schleier über den Norden allmählich lichtet, zeigt sich
die Glaubwürdigkeit der Berichte von Pytheas. Einige Zusammenhänge mit Pytheas
Entdeckungen seien hier noch kurz erwähnt.
Der Begründer der
wissenschaftlichen Geographie,
Eratosthenes (ungefähr 275 bis 194 v. Chr.) stützt sich auf Pytheas' Aussage über den Norden. Als
Bibliothekar am Museum in Alexandria tätig, teilt er die Erdoberfläche in verschiedene
Klimata (Breitenzonen) ein. Außerdem zeichnet er die erste Erdkarte, wo er versucht, die
Lage der Orte über Breitenkreise und Meridiane zu bestimmen. Eratosthenes glaubt auch an
ein zusammenhängendes Weltmeer und sagt: "Wenn nicht die große Ausdehnung des
Atlantischen Meeres es unmöglich machte, könnten wir die Strecke von Iberien nach Indien
längs desselben Breitengrades durchsegeln." Das war 1700 Jahre vor
Kolumbus
(14511506).
Auch
Hipparch
(ungefähr 190125 v. Chr.) glaubt an die Aussagen von Pytheas, kann aber nichts
Neues über den Norden sagen. Aber er führt die Einteilung der Breiten- und Längenkreise
in Grade ein.
Polybios
(ungefähr 204127 v. Chr.) schenkt den Berichten von Pytheas keinen Glauben und
behauptet, dass das Land im Norden unbekannt sei.
Der physische Geograph
Poseidonios
(13551 v. Chr.) berechnet den Erdumfang fehlerhaft, und nach dieser Vorstellung ist
die Erde kleiner als in Wirklichkeit. Diese falsche Berechnung wird später von
Ptolemaios
(ungefähr 100160 n. Chr.) aufgenommen und könnte als Konsequenz die
Grundlage für Kolumbus’ Reise in die Neue Welt (1492),
im Glauben Indien erreicht zu haben, gewesen sein.
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