Norwegen
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Etwas versteckt die Nansenbüste an der Seite des Rathauses in Oslo. Mittlerweile steht es dort nicht mehr.

Vielleicht der berühmteste Sohn Norwegens: Fridtjof Nansen
Fridtjof Nansen wurde 1861 geboren
Wegbereiter in Forschung und Wissenschaft

Fridtjof Nansen war nicht nur ein großer Sohn Norwegens, Nansen war ein Phänomen! Walter Bauer bezeichnet ihn in seiner Nansen-Biographie als „Polarforscher, Zoologe, Geograph, Meteorologe, Ozeanograph, Konstrukteur, Organisator, Schriftsteller, Universitätsprofessor und Rektor, Gesandter, Völkerbundsdelegierter, Hoher Kommissar“ und „Friedensnobelpreisträger“. Seine Forschungen um die Jahrhundertwende, besonders im Polarmeer, waren richtungsweisend für die Wissenschaft. Er überwinterte in menschenfeindlichen Gegenden. Er war der „Königsmacher“, als Norwegen die Unabhängigkeit von Schweden anstrebte. Sein unermüdlicher Einsatz für unterdrückte Völker und Minderheiten wurde 1922 mit dem Friedensnobelpreis geehrt, und nebenbei war er Professor für Zoologie und Meereskunde.

Die verschiedenen Biographien über Nansen suchen das Ungewöhnliche bei diesem ungewöhnlichen Mann schon im Kindesalter. So berichtet Eugen von Enzberg von Nansens Tapferkeit, als sich ein Angelhaken in den Lippen des kleinen Fridtjofs verfängt und die Mutter ihm das spitze Ding mit einem Messer wieder herausschneiden muss. Nansen habe dabei noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt, berichtet die Legende! Diese Liste ließe sich mit entsprechendem Pathos beliebig fortsetzen.

Dass Nansen ein außergewöhnlicher Sportsmann ist, beweist schon die Tatsache, dass er als 21jähriger beim Eissschnelllauf nur knapp dem künftigen norwegischem Weltmeister Axel Poulsen unterliegt.

Fridtjof Nansen wird am 10. Oktober 1861 in der Nähe von Kristiania (Oslo) auf dem Gut Mellom Frøen geboren. Einer seiner Vorfahren übt eine große Faszination auf den heranwachsenden Fridtjof aus: Hans Nansen, Forscher und Oberbürgermeister von Kopenhagen im siebzehnten Jahrhundert. Dieser war durch Russland gewandert und erforschte im Auftrag des russischen Zaren die Küste des Weißen Meeres.

 

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Titelkupfer mit  Nansens' Vorfahren Hans Nansen

 
 
In einem zweibändigen Werk über die Algemeine Welthistorie von Anbegin der Welt bis auf gegenwärtige Zeit XXXIII. Theil. Historie der neueren Zeiten XV. Theil. Halle verlegts Johann Justinus Gebauer von 1770, findet sich auf der ersten Seite ein Kupfer, wo ein Vorfahr von Fridtjof Nansen abgebildet ist. Dieser Ahn stammt laut Quelle gebürtig aus Flensburg. Die Bildbeschreibung lautet:  „(…) Präsident Nansen, Erzbischof Svaning, und ein Abgeordneter des Ritterstandes, in Beyseyn eines Amagrischen Landmannes, dem König Friedrich die Souverainitäts=Urkunde übergeben.Anlass der Übergabe der Urkunde, die am Nachmittag des 26. September 1660 statt fand,  war die Installierung der Erbmonarchie in Dänemark durch König Friedrich III. Hans Nansen lebte von 1598 bis 1667. Zu Hans Nansen steht weiter im Buch: „Nansen war aus Flensburg gebürtig, und wurde 1620 königlicher Dolmetscher am russischen Hofe, an dem er schon seit 1614 aufgehalten hatte, ferner nach einiger Zeit Vorsteher der isländischen Handelsgesellschaft, 1639 Ratsherr und 1644 Bürgermeister in Koppenhagen. Er kannte die Privilegien aller Stände und die dänische Reichsverfassung sehr genau, und schrieb eine russische Reisebeschreibung nebst einer Anleitung zur Weltbeschreibung, die zu ihrer Zeit in grosser Achtung stand. (…)“. Hans Nansen erforschte damals  im Auftrag des Zaren die Kolahalbinsel und das Weiße Meer.
 

Hinweis: Die ursprüngliche Schreibweise des Originaltextes wurde in den Zitaten beibehalten. Die Bücher stammen von 1770.

 

Fridtjof Nansen 1896 nach seiner Rückkehr von der Fram-Expedition. Hans Nansen, ein Vorfahre Fridtjofs, wirkte im 17. Jahrhundert, hier auf einer Darstellung aus dem 18. Jahrhundert. Die Ähnlichkeit ist verblüffend!
 

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In der Schule gehören Mathematik, Physik und Chemie zu seinen Lieblingsfächern. Nach dem Abitur beginnt er mit dem Studium der Zoologie. Im Jahr 1882, nach Abschluss des zweiten Semesters, fährt der 21jährige Nansen an Bord des Robbenfängerschiffs Viking das erste Mal in die Arktis und sammelt die ersten Erfahrungen im Polareis. Dass er mit analytischem Verstand an die Faszination Arktis herangeht, beweisen schon seine damaligen Forschungen.

Er misst die Wassertemperaturen in verschiedenen Meerestiefen. Mit den sehr intensiv durchgeführten Untersuchungen widerlegt er die gängige Lehrmeinung, dass sich das Pack- bzw. Meereis nicht - wie angenommen - mindestens in einer Wassertiefe von 31 Metern bildet, sondern an der Oberfläche. Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass das Treibholz, welches an die Küste Grönlands angeschwemmt wird, aus Sibirien stammt.

Für Nansen ist dies ein Indiz für eine bewegliche Eiskappe über dem Nordpol hinweg. Schlamm-, Staub- und Pflanzenproben stützen diese Annahme. Nach seiner Rückkehr arbeitet Nansen als Konservator im naturwissenschaftlichen Museum in Bergen unter der Leitung des bekannten Arztes und Lepraforschers Daniel Cornelius Danielssen. Er sieht in Nansen seinen geistigen Ziehsohn. In Bergen ist er eng mit Edvard Grieg, dem norwegischen Komponisten, befreundet.

Im Frühjahr 1886 fährt Nansen nach Italien. Dort trifft er mit dem Histologen Camillo Golgi zusammen, dessen Arbeiten mit der Färbung von Zellstrukturen ihn sehr interessieren.

Seine Hauptzeit verbringt er bei dem aus Jena stammenden Privatdozenten Anton Dohrn. Dieser hat in Neapel eine Art Aquarium errichtet, wo sich das Studium an lebenden Tieren betreiben lässt. Nansen ist davon so begeistert, dass auf sein Drängen hin in Drøbak bei Oslo später auch so eine Station eingerichtet wird.

In all dieser Zeit reift sein Plan, das grönländische Inlandeis zu durchqueren, welches noch als terra incognita gilt. Im Sommer 1888 ist es dann soweit. Nach beschwerlicher Landung startet die sechsköpfige Gruppe - mit dabei Otto Sverdrup, der Nansen später auf der Fram begleitet - vom Umivikfjord aus an der Ostküste in das unbekannte Inlandeis. Nansen hofft, nach gut einem Monat Wanderung und 700 Kilometern Wegstrecke am Ameralikfjord an der Westküste wieder auf Menschen zu treffen.

Dass diese Expedition keine Abenteuertour ist, zeigen schon die intensiven Vorbereitungen. Nansen baut spezielle Schlitten und Boote, und die Teilnehmer werden auf extreme körperliche Situationen geprüft. Dadurch wird das Risiko des Scheiterns der Expedition wesentlich verringert. Nansen ist kein Draufgänger, auch wenn viele Leute ihn dafür halten mögen.

Nach einer abenteuerlichen Odyssee auf Eisschollen an der Küste beginnt ab Mitte August 1888 der Aufstieg in das bis zu 3.200 Meter mächtige Inlandeis. Nach harten, körperlichen Entbehrungen und 40 Tagen Wanderung haben die sechs Männer an der Westküste wieder festen Boden unter ihren Füßen. Der grönländische Eispanzer in einer Ost-Westquerung ist zum erstenmal bezwungen.

Da die Gruppe in Godthåb bis zum Frühjahr auf das nächste Schiff warten muss, das sie wieder nach Kopenhagen bringen soll, freundet Nansen sich mit den Inuit (Eskimos) an, lernt ihre Kultur und Sprache, und empfindet eine tiefe Bewunderung für sie. Der Abschied von ihnen im folgenden Frühjahr fällt ihm außerordentlich schwer. Diese Erfahrungen verarbeitet Nansen später in dem Buch Eskimoleben. Über die eigentliche Reise publiziert er das viel beachtete Werk Auf Schneeschuhen durch Grönland. Für die Expedition verwendete Nansen Schneeschuhe bzw. Skier, die dann im restlichen Europa überhaupt erst bekannt wurden. Dank Nansen gibt es seitdem z. B.  das Skifahren im Schwarzwald. Im dortigen gerade neu gegründeten Ski-Club Todtnau wird er sogar zum Ehrenmitglied ernannt!     

Was hat die Expedition gebracht? Nansen hat damit die geschlossene Inlandeisdecke nachgewiesen, die sich von Grönlands Ost- zur Westküste erstreckt. Weiter hat er erste und wichtige meteorologische Messungen in der „Wettermaschine“ der größten Insel der Welt gemacht und den Weg für weitere Expeditionen geebnet.

Nach seiner Rückkehr heiratet Nansen die Sängerin Eva Sars. Ihr Vater, Michael Sars, ist Pfarrer und Zoologieprofessor; ihre Mutter hat neunzehn Kindern das Leben geschenkt. Die Hochzeitsreise wird zugleich zur  Vortragsreise, die die Beiden in die europäischen Metropolen führt. Nansen wird umjubelt und geehrt.

 

Auf Polhøgda liegt Fridtjof Nansen begraben.

Foto: NORDLANDSEITE (2003)

Wieder in Norwegen wird das Haus Godthåb bei Lysaker gebaut. Langsam entsteht der Plan einer weiteren Polarexpedition. Nansen studiert die Expeditionsberichte von Nares, Greeley, Parry, Ross, Hovgaards, Cook und De Long.

Gerade der Bericht von der verunglückten Jeanette-Expedition unter Georg Washington De Long bekräftigt Nansen in seiner 1882 aufgestellten Theorie einer Drift, einer Treibfahrt im Packeis, über das Polarmeer. De Longs Schiff Jeanette war im Juni 1881 nördlich der Beringstraße vom Packeis zermalmt worden, nur wenige Besatzungsmitglieder überlebten. Teile des Schiffes wurden später an der Küste Südostgrönlands gefunden, 2900 Seemeilen von der Unglücksstelle entfernt.

Nansen hat die Idee, sich mit einem packeistauglichen Schiff im Polareis einfrieren zu lassen, um so über den Nordpol bis zum Nordatlantik zu driften. Mit dem Schiffsbauer Colin Archer konstruiert er die Fram. Mit dem Ernährungswissenschaftler Torup wird der Proviant ausgesucht. Die Expedition soll zwei Jahre dauern, Verpflegung für fünf Jahre ist an Bord. Auch bei dieser Reise ist alles mehrfach abgesichert.

Zwar finden sich nur wenige Befürworter, doch das norwegische Storting unterstützt die Expedition mit 200.000 Kronen. Insgesamt zwölf Männer unter der Leitung von Fridtjof Nansen und Kapitän Otto Sverdrup stechen im Juli 1893 in See Richtung Nordosten. In der Nähe der Neusibirischen Inseln friert die Fram friert am Packeisrand fest.

Nansen muss bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten seine falsche Annahme von einem seichten Polarmeer revidieren. Die Lotungen ergeben Werte von über 1.800 Meter Wassertiefe. Durch diese große Tiefe sind die Auswirkungen der Wasserströmungen nur sehr gering auf die Eisdrift. Die Hauptursache für diese, so nimmt Nansen an, liegt eher in der Windkraft. Weitere, nördlichere Messungen ergeben Wassertiefen von 2.000 und 3.000 Metern. Damit ist auch der Glaube von Land und Inseln am Nordpol hinfällig.

Die Nähe des Pols und das träge Dasein an Bord des Schiffes lassen bei dem Forscher Nansen dann doch den Ehrgeiz entstehen, der erste Mensch am Pol zu sein. So wird am 14. März 1895 endgültig der Start in Richtung Nordpol gewagt. Zusammen mit Frederik Hjalmar Johansen verlässt Nansen die Fram bei 84 Grad, 13,6 Minuten nördlicher Breite. 660 Kilometer eisige Strecke liegen zwischen ihnen und dem Pol.

(Frederik Hjalmar Johansen stellt in seinen privaten Aufzeichnungen Fridtjof Nansen auf der Fram-Expedition 1893/96 eher negativ dar. Später empfahl Nansen dann Johansen an Amundsen für die geplante Nordpolexpedition - die dann zum Südpol ging - weiter. Amundsen nahm Johansen zunächst in seiner Mannschaft auf, schloss ihn aber jedoch wegen eines Vorfalls bei Amundsens erstem Polvorstoß von der späteren erfolgreichen Südpolerstürmung aus. Sozial völlig heruntergekommen, nahm sich Johansen im Januar 1913 durch einen Kopfschuss das Leben.)

Nach nur drei Wochen Wanderung erkennt Nansen, dass das Ziel zu hoch ist. Er ist Realist genug um einzusehen, dass es besser sei umzukehren. Nansen und Johansen stehen jetzt auf 86 Grad, 14 Minuten nördlicher Breite. So weit nördlich ist kein Mensch vorher gewesen. Der Rückmarsch wird sehr beschwerlich. Auch können die beiden Eiswanderer durch eine Unachtsamkeit Johansens nicht mehr genau ihre Ostwestrichtung feststellen.

Es dauert bis zum 14. August 1895, bis sie auf Franz-Josef-Land wieder festen Boden unter den Füßen haben. Doch Treibeis zerstört die Hoffnung, weiter nach Süden zu kommen. Die dritte Überwinterung, die dritte Polarnacht steht an.

Im folgenden Juni des Jahres 1896 überschlagen sich die Ereignisse: Am 12. Juni treiben die Kanus weg, beladen mit Proviant und Ausrüstung. Nansen springt in das eiskalte Wasser und schafft es dank seiner sportlichen Konstitution, die zusammengebundenen Kanus zu erreichen. Mit letzter Kraft und fast steif kann er sich an Bord ziehen und alles retten. Der Verlust hätte den sicheren Tod bedeutet. Drei Tage darauf attackiert ein Walross eines der Kanus und beschädigt es schwer.

Und einen Tag später die wundersame Rettung: Nansen und Johansen treffen hier in der menschenfeindlichen Wildnis auf Frederick Jackson! Der Engländer führt mit seinem Team auf Franz-Joseph-Land wissenschaftliche Erkundungen durch. Er hat sogar Post für Nansen dabei. Trotz der Freude über die Rettung beteiligt sich Nansen in den nächsten zwei Monaten intensiv mit an den Forschungen Jacksons auf der Inselgruppe.

Endlich am 13. August 1896 betreten Nansen und Johansen nach über drei Jahren wieder norwegischen Boden im Hafen von Vardø. Von der Fram keine Nachricht. Lebten die anderen überhaupt noch?

Nur sieben Tage später erreicht Nansen ein Telegramm: Fram heute in gutem Zustand angekommen. Otto Sverdrup“. Norwegen feiert die Heimkehrer! In Tromsø treffen Nansen und Johansen mit Sverdrup und der Mannschaft der Fram wieder zusammen. Der Jubel ist groß! Einer der größten Entdeckungsreisen überhaupt ist damit erfolgreich zu Ende gegangen. Es hat sich kein Drama im Eis entwickelt wie fünfzig Jahre zuvor bei der Franklin-Expedition. Nansen straft seine Gegner Lügen, die ihm Ignoranz vorgeworfen haben. Dank der genauen Vorbereitung ist das Risiko für Nansen in einem überschaubaren Rahmen geblieben. Nansen ist eben Wissenschaftler und kein Abenteurer.

Nach der erfolgreichen dreijährigen Eisdrift mit der Fram wird Nansen mit Ehrungen und Orden überhäuft. Die Auswertung der Reise und Vorträge warten jetzt auf ihn. In ihm reift ein neuer Plan, das Ziel heißt Südpol. Der Gedanke dafür ist während der Drift durch das Packeis entstanden. Aber es soll alles anders kommen...

 

Das Arbeitszimmer von Fridtjof Nansen im Turm von Polhøgda. Als ob er es gerade verlassen hätte... Hier wertete Nansen seine Forschungen aus und schrieb seine Bücher. Hüter dieses Raumes ist Erling Hagen vom Fridtjof-Nansen-Institut. 

Foto: NORDLANDSEITE (2003)

Um die Jahrhundertwende ist Fridtjof Nansen intensiv mit der Auswertung seiner Forschungsergebnisse beschäftigt. Die Resultate sind für die Meeresbiologie und für die physischen Ozeanographie von fundamentaler Bedeutung. Seine Beobachtungen von den Eisbewegungen können über die Corioliskraft, die durch die Erdrotation entsteht, erklärt werden.

In all' der Arbeit trifft er zum ersten Mal mit seinem Landsmann Roald Amundsen zusammen. Nansen ist begeistert von dem jungen Mann. Er unterstützt dessen Plan, die Nordwestpassage zu finden. Ihre Wege werden sich noch öfters kreuzen.

Im Jahre 1905 entstehen ernsthafte Spannungen in Skandinavien. Norwegen ist an die Union mit Schweden gebunden und möchte sowohl wie innenpolitisch als auch außenpolitisch ein unabhängiger Staat werden. Am 7.Juni 1905 wird im Storting eine Resolution zur Auflösung der Union eingebracht. Darauf rasselt Schweden an der Grenze mit dem Säbel, die Kriegsgefahr wächst. 4.000 norwegischen Soldaten stehen schwedische Truppen von 60.000 Mann gegenüber. Im Oktober endlich wird in der Konvention von Karlstad eine friedliche Lösung gefunden.

Norwegen ist nun ein unabhängiger Staat. Nansen als glühender Patriot ist für eine konstitutionelle Monarchie. Diese hält er als notwendig - nicht ohne heftige Kritik - für die internationalen Beziehungen des jungen, selbstständigen Staates. Einzelne Stimmen im Land fordern sogar „Nansen soll König werden“. Als privater Repräsentant der norwegischen Regierung reist er zum dänischen Königshof und findet im Prinzen Karl von Dänemark den künftigen norwegischen König Håkon VII.

Danach verbringt er zwei Jahre in London als erster Gesandter Norwegens. Seine Aufgabe ist es, die norwegische Neutralität zwischen den Großmächten zu wahren. Die politische Etikette behagt ihn aber ganz und gar nicht, wie er seiner Frau Eva schreibt.

In dieser Zeit beschäftigt er sich mit der Historie der Polarforschung und ist so fasziniert von den Mythen und Sagen der Arktis, dass dabei das Buch Nebelheim (1910/11) entsteht. Doch Ende des Jahres 1907 stirbt Eva Nansen in dem Familienanwesen auf Polhøgda.

Nansen kümmert sich jetzt intensiv um seine Kinder und zieht sich aus der Politik zurück. Er betreibt wieder Meeresforschung und gibt Vorträge. In dieser Zeit sucht Roald Amundsen Nansen auf, um ihn über seine Pläne einer Nordpolexpedition zu unterrichten. Die Eisdrift soll ihn von der Beringstraße aus über den Pol führen. Um aber dort hinzukommen, muss er zuerst den Südzipfel von Südamerika, das Kap Hoorn, umschiffen, da der Panamakanal gerade erst gebaut wird. Schweren Herzens überlässt Nansen dem Landsmann die Fram.

Im September 1909 erreicht die Welt die Nachricht, dass die Amerikaner Peary und Cook unabhängig voneinander den Nordpol erreicht haben wollen: Diese Nachricht neun Monate vor der Abreise von Amundsen! Er gerät unter Druck. Einige Geldgeber springen ab, da der Nordpol nicht mehr für sie interessant ist. Statt zum Nordpol fährt Amundsen jetzt zum Südpol. Der dramatische Wettlauf mit dem Briten Robert Falcon Scott zum neunzigsten Grad südlicher Breite ist Geschichte.

 

Nansens Heim Polhøgda in Lysaker. Hier lebte und starb der Polarforscher. Zwischen den Bäumen liegt sein Grab. 

Foto: NORDLANDSEITE, (2003)

Obwohl sich Amundsen damit den Lebenstraum von Nansen bemächtigt hat, findet er in Nansen seinen Verteidiger bei der Anklage, er habe Scott auf dem Gewissen. Nansen nimmt Amundsen in Schutz, dass keiner auf dieser Welt ein Monopol auf geographische Ziele habe.

Erholung und die Bestätigung seiner Fram-Ergebnisse von der Eisdrift 1893-96 sucht und findet er im Jahre 1912 bei seiner dreimonatigen Nordmeerfahrt zur Bäreninsel und nach Spitzbergen.

Nach der Rückkehr aber trifft Nansen ein weiterer Schicksalsschlag: Asmund, sein jüngster Sohn, stirbt infolge einer angeborenen Gehirnerkrankung. Über diesen weiteren schmerzlichen Verlust hilft ihm eine Einladung nach Sibirien hinweg. Neue Transportwege werden dort gesucht, und Nansens Erfahrungen über die Schiffbarkeit in der nördlichen Karasee sind gefragt. Nansen nimmt die Einladung gerne an. Dabei hat endlich wieder die Möglichkeit, sich mit Naturvölkern wie die der Samojeden und der Juraken zu beschäftigen. Die Reise führt ihn über den Jenissei bis in das Amurgebiet, den Osten Sibiriens. Diese Reiseerfahrungen schildert er in Sibirien, ein Zukunftsland (1914).

Der erste Weltkrieg bringt Hunger in das neutrale Norwegen, das eine pro-britische Haltung bezogen hat im Gegensatz zu den eher deutsch-freundlichen Dänen und Schweden. Deutsche U-Boote versenken norwegische Schiffe, der Handel kommt zum Erliegen. Es gibt kaum noch Lebensmittel in Norwegen. Nansen wird als „bevollmächtigter Minister im besonderen Auftrag“ der Regierung aktiv, um dringende Nahrungsmittel herbeizuschaffen. Mit zähen Verhandlungen erreicht er das Amerika-Abkommen, das Norwegen vor der Hungersnot rettet.

Vom Schrecken des ersten Weltkrieges und auch von einem frühen Zusammentreffen mit der österreichischen Pazifistin Bertha von Suttner geprägt, engagiert sich Nansen mehr und mehr in Sachen Frieden. Er wird Vorsitzender des norwegischen Friedenbundes. Norwegen schickt ihn als Gesandten zum Völkerbund im Jahre 1920 nach Genf. Dort kümmert er sich sofort um den Austausch von Kriegsgefangenen. Innerhalb von achtzehn Monaten können dank seiner Bemühungen rund eine halbe Millionen Kriegsgefangenen aus sechsundzwanzig Nationen in ihre Heimat zurückkehren. Der von ihm geschaffene Nansenpass für staatenlose Flüchtlinge wird später im Jahre 1946 durch das London Travel Document und das Reisedokument der Genfer Flüchtlingskonvention weitergeführt.

Nach der Niederlage Griechenlands in der kriegerischen Auseinandersetzung mit der Türkei (1920 - 1922) setzt sich Nansen für die Flüchtlinge in dem ehemaligen Kriegsgebiet ein. Er lässt Sammellager errichten und große Gebiete zu Nutzflächen umwandeln. Viele neue Dörfer entstehen. Eine große Völkerwanderung findet dank Nansen und dem Völkerbund ein glimpfliches Ende.

Bei der russischen Hungersnot (1920 - 1922) steht Nansen im internationalen Interessenkonflikt. Schlechte Ernten in Russland haben die dortige Versorgungslage zusammenbrechen lassen. Dreißig Millionen Russen sind vom Hunger bedroht. Selbst der Völkerbund verweigert seine Hilfe, da auch dort die politischen Interessen mittlerweile dominieren. Für Nansen ist es persönlich seine schwerste Niederlage. Trotzdem kann Nansen private Spender und einen Kredit Norwegens aufbringen, um in Russland den Hungernden zu helfen. Für diesen Erfolg und für sein Werk wird Nansen 1922 mit dem Friedensnobelpreis für humanitäre Verdienste ausgezeichnet.

Die Tragödie eines anderen Volkes, das der Armenier, beschäftigt danach Fridtjof Nansen. Die Armenier haben unter zwei großen Völkermorden zu leiden, den letzten im Jahre 1915. Bei den Massakern der Türken sollen dabei über einer Millionen Menschen umgebracht worden sein. Die zugesagte Hilfe der Mittelstaaten bleibt jedoch aus. Ein weiterer Angriff der Türken kann im Jahre 1920 erfolgreich abgewehrt werden. Im gleichen Jahr wird Armenien zur Sowjetrepublik. Darauf suchen Tausende von armenischen Flüchtlingen aus den türkischen Gebieten dort Zuflucht.

Schon seit Jahren fordert Nansen im Völkerbund sofortige Hilfe für Armenien. Doch das Desinteresse des Völkerbundes und die Enttäuschung nach der Hungerkatastrophe in Russland frustrieren Nansen. Er wirft dem Völkerbund Scheinzugeständnisse vor, „(...) um das schlechte Gewissen in Schlummer zu wiegen, falls es überhaupt noch jemand geben sollte, der ein Gewissen hat.“

Dennoch lässt ihn der Gedanke an die Flüchtlinge in Kaukasus nicht ruhen. Im Juni 1925 tritt er mit einer Kommission die Reise dorthin an. Mit der armenischen Regierung entwirft Nansen mehrere Pläne zur Neulandgewinnung und kehrt im Juli nach Norwegen zurück.

Bei der sechsten Vollversammlung des Völkerbundes in Genf bittet Nansen eindringlich um die Bewilligung des Projektes in Armenien. Doch die Beratungen darüber werden vertagt. Bei der siebten Vollversammlung stößt er erneut auf Ablehnung bei den Delegierten. Nach drei Jahren schließlich - im Jahre 1927 - muss Nansen die Ausweglosigkeit seines Vorhabens einsehen. Er beantragt, die Angelegenheit von der Tagesordnung zu streichen und legt sein Amt als Hochkommissar des Völkerbundes nieder.

Dennoch soll sein Einsatz für Armenien nicht umsonst gewesen sein. Kleinere Kredite einzelner Staaten können in Armenien viele Flüchtlinge helfen. Über die Tragödie des armenisches Volkes und die Eindrücke seiner Reise schreibt Nansen das Buch Betrogenes Volk (1928).

Daheim auf Polhøgda widmet sich Nansen seiner Familie - er ist seit 1919 mit seiner zweiten Frau Sigrun verheiratet - und wieder mit der Polarforschung. Jetzt zieht ihn die Arktisfliegerei in ihren Bann. Besonders interessiert ist er an dem Flug des Luftschiffes Norge, den Amundsen am 9. Mai 1926 über den Nordpol unternommen hat. Nansen gründet die Gesellschaft Aero-Arktik zur Erforschung des Polarmeeres durch Luftfahrzeuge. Mit Dr. Hugo Eckener, einem Mitarbeiter des Grafen Zeppelins, plant er eine Arktis-Luftschiffexpedition für das Frühjahr 1930.

Doch er soll es nicht mehr erleben. Nachdem im Jahre 1928 ein Herzanfall Nansen in die Knie gezwungen hat, so versagen erneut seine Kräfte bei einem Skiausflug am Neujahrstag 1930. Zwei Monate später fesselt eine Venenentzündung den 68jährigen ans Bett.

Doch mit Eifer arbeitet er im Bett weiter an einer Abhandlung über die Entstehung und Bewegung von Gletschern. Anfang Mai darf er wieder aufstehen. Am 13. Mai arbeitet er an einer Rede zum norwegischen Nationalfeiertag am 17. Mai. Seine Schwiegertochter Kari bringt ihm den Tee auf die Terrasse. „Die große Linde ist noch nicht grün“, sagt er zu ihr, „aber bald wird sie ausschlagen. Auf diese Art kann ich den Frühling zweimal erleben...“ Doch mitten im Satz fällt sein Kopf nach vorn. Der Tod hat seinem Leben und seinem Wirken ein Ende gesetzt.

Der norwegische Nationalfeiertag wird zum Staatstrauertag. Hunderttausende geben Nansen in Oslo das letzte Geleit. Am Sarg stehen Olaf Christian Dietrichsen, der Gefährte der Grönlandfahrt, Otto Sverdrup, der Kapitän der Fram und Bjørn Helland-Hansen, sein Mitarbeiter in der Meeesforschung. Nansen zählt mit zu den herausragenden Wissenschaftlern unserer Zeit. Er erkannte den humanistischen Charakter der Wissenschaft und die daraus resultierende Notwendigkeit, die Kräfte der Wissenschaft mit denen des Friedens zu vereinbaren.

 

Autor: Th. Bujack

   
  WDR2 Stichtag:
  10. Oktober 2011 - 150. Geburtstag von Fridtjof Nansen
   
Das Fridtjof-Nansen-Institut (FNI) ist heute auf Polhøgda beheimatet. Das Haus ist KEIN öffentliches Museum, folglich hat es auch nicht für den Publikumsverkehr geöffnet. Da der Weg von der Bahnstation Lysaker (bei Oslo) nach Polhøgda recht weit ist, empfiehlt es sich dringend, vorher mit dem FNI Kontakt aufzunehmen, ob und wann ein Besuch möglich ist.
Link: Fridtjof-Nansen Institut

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Alle Rechte bei der  NORDLANDSEITE

Quellen:

In Nacht und Eis, Die Norwegische Polarexpedition 1893 - 1896, Fridtjof Nansen, Neue revidierte Ausgabe, F. A. Brockhaus, Leipzig, 1898

Fridtjof Nansen, Ein Lebensbild, Eugen von Enzberg, Verlag von Carl Meißner, Dresden und Leipzig, 1898

Der Ruf des Nordens, H. H. Houben, Wegweiser-Verlag G.m.b.H., Berlin, 1927

Die langen Reisen, Walter Bauer, Kindler Verlag, München, 1956, Printed 1958

In der weißen Wüste, Wolfgang Genschorek, VEB F.A. Brockhaus Verlag Leipzig, 1980

Im Schatten. Die Geschichte des Hjalmar Johansen, Ragnar Kvam jr., Berlin Verlag, 1997

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Norwegen
 

 

Eine andere der vielen Nansenbüsten in Norwegen, hier am Ende der Tromsøbrücke auf Tromsøya.

Die Ur-Fram, wie sie Colin Archer geplant hat.

 

Die Fram im Zustand, wie sie während der Nansen-Expedition war

 

Otto Sverdrup veränderte die Fram für seine Expedition in das kanadische Archipel (1898 - 1902)

 

Die Fram unter Roald Amundsen

 

Eines der berühmtesten Schiffe der Welt: 

Die Fram in Oslo.

 

Fotos: NORDLANDSEITE