Die Schneeflocken peitschen
durch das Gesicht. Die Augen können wir kaum offen halten. Schwer
schleppen wir uns durch den dicken Schnee über den zugefrorenen
See. Überall diesiges Weiß, das Eis knistert, der Schnee
knirscht. Aber uns ist es warm, wir sind gut eingepackt! So
wandern wir stundenlang durch die winterlichen, finnischen Seen und
fühlen uns großartig.
Schon seit Mitte
November verfolgen wir aufmerksam die Temperaturen in Finnland: Das Thermometer in
der Wetterkarte zeigt konstant zwischen minus fünf und minus zehn Grad in der Region um
Mikkeli im Südosten Finnlands an. Es ist schon immer unser Wunsch gewesen, die
Weihnachtstage und das Neue Jahr - endlich mal - in Schnee und Eis zu verbringen. Das
nasskalte Wetter in Deutschland ist ja nicht so gemütlich.
Hütte mit Sauna
und Kamin
Bei
unserem finnischen Freund Risto können wir in einer Ferienhütte Quartier beziehen. Diese
Hütte liegt bei dem Kirchdorf Ristiina in der Nähe von Mikkeli. Er
hat uns vor
der "primitiven" Ausstattung der Hütte gewarnt, aber Sauna und Kamin
bedeuten
für uns Gemütlichkeit, und dafür nehmen wir Trockenklo und Wasser aus Kanistern gerne
in Kauf.
Es ist sieben Grad unter null kalt,
es schneit, und die Seen sind dick zugefroren. Mit Angora-Unterwäsche, dicken Stiefeln
und warmen Wollmützen gehen wir jeden Tag auf Entdeckungstour. Die ersten
Wanderungen führen uns über die vereiste Bucht Ruotimolahti in den größeren Louhivesi,
einer der vielen, vielen Nebenseen des Saimaa-Seensystems, der größten Wasserfläche in Finnland.
Warmes
Wasser unter kaltem Eis
Risto
hat
uns auf dem Eis zur Vorsicht gemahnt: Der Sommer ist sehr warm gewesen und
hat das
Wasser in der finnischen Seenplatte stark erwärmt. Unter dem Eis können plötzlich warme
Strömungen auftreten, die das Eis von unten her auftauen. Für den Fall des Einbrechens
tragen die Finnen zwei Holzgriffe mit einer Schnur um den Hals, das jäänaskalit.
An den Enden der Griffe sind etwa zwei Zentimeter lange Nägel wie Spikes. Im Notfall
können sie dann diese Griffe in das Eis stoßen und sich daran selbst herausziehen.
Schnelles Handeln ist in so einer Situation ratsam, denn ein normaler Mensch kann in dem
vier Grad kalten Wasser nur wenige Minuten überleben.
Wir haben kein solches jäänaskalit
mit dabei und trotten zur Sicherheit im Abstand von rund fünfzehn Metern hintereinander
her. Der hintere hat die Hand immer griffbereit am Mobiltelefon. Es
ist schon ein
komisches Gefühl, plötzlich bei diesen Minustemperaturen in einer Wasserpfütze auf dem
Eis zu stehen, und das rettende Ufer ist gut ein Kilometer in jeder Richtung entfernt.
Aber wir haben Glück, das Eis hält.
Spuren
im Schnee
Unsere weiteren Wanderungen
bringen
uns in die Gegenden Pettilä und Mäkelä. Auf dem Yövesi, einem weiteren See des Großen
Saimaa, können wir Tierspuren im Schnee beobachten. Mal kreuzen wir
Fuchs-, mal Elchspuren. Oft können wir Abdrücke von Schneehasen sehen, die häufig die Richtung
wechseln und unerwartet enden. Damit verwirren die Hasen ihre Verfolger,
erzählt
uns Risto. An den äußeren Inselenden führen die Tierfährten über Land, um wieder nach
einigen Metern auf das Eis zu wechseln. Warum merken wir, als wir auf dem Eis um so ein
Kap herum wandern wollen: Das Eis wird hörbar dünner, und wir
kehren vorsichtshalber
um, damit wir den sicheren Weg der Tiere über die Insel weiter verfolgen
können.
Manche Inseln können wir gar nicht passieren, weil riesige Findlinge aus der letzten Eiszeit
mit einer sichtbaren Höhe von gut zwanzig Metern uns den Weg
versperren. Auch müssen wir uns manchmal beeilen, da die Sonne gegen drei Uhr nachmittags wieder
untergeht und das
Dämmerlicht nur noch eine Stunde anhält. Zwar werden die Tage jetzt länger, aber wenn
es dunkel ist, können wir die Hand vor Augen kaum noch erkennen.
Schnee
und Sterne, See und Silvester
Die Silvesternacht
ist natürlich
etwas Besonderes. Bei minus zwölf Grad und sternklarem Himmel ziehen wir mit Sekt und
Wunderkerzen auf den zugefrorenen Ruotimolahti. Das leise Donnern der Silvesterböller
aus dem zwölf Kilometer entfernten Ristiina zeigt uns gegen Mitternacht das Neue Jahr an. Die Sternenpracht ist einmalig und für uns
schöner als das beste Feuerwerk. Gegen halb eins telefonieren wir mit der Vergangenheit:
Durch die eine Stunde Zeitverschiebung sind wir schon im ersten Januar des neuen Jahres;
doch für die Daheimgebliebenen in Deutschland gilt noch der 31. Dezember des alten
Jahres, "Schöne Grüße aus der Zukunft...". Über uns
strahlt der Polarstern,
und in Richtung des Sternbildes des Orion, wo ganz viele Sterne funkelten,
marschieren
wir wieder zu unserer Hütte.
Der Himmel ist am nächsten Morgen
wieder Wolken verhangen. Reif schwebt durch die kalte Luft und bedeckt unsere Jacken mit kleinen
symmetrischen Eiskristallen. Heute wollen wir uns die Felszeichnungen von Astuvansalmi am
Ufer des Yövesi anschauen. Diese prähistorischen Malereien sind ungefähr drei- bis
viertausend Jahre alt und die umfangreichsten, die je in Skandinavien gefunden worden
sind. Wir müssen den Kopf in den Nacken legen, um die Felsbilder zu bestaunen. Denn der
Wasserstand des Sees ist zur Zeit der Entstehung der Bilder viel höher gewesen und
ist seitdem um einige Meter gesunken. Damals malten die Menschen von Booten aus ihre
Botschaften an die Felsenwände. Auf dem Seeboden sind Bernsteinfiguren und
Pfeilspitzen aus der Steinzeit und Bronzezeit gefunden worden.
Mann
mit vier Armen...
Als ich zu
meiner Freundin sage:
"Komisch, dort ist ein Mann mit vier Armen gemalt.", sagt sie schmunzelnd: "Dies ist kein Mann, sondern eine Frau mit zwei Armen und zwei Brüsten."
Im Gegensatz zu mir hat sie schon die Beschreibungen gelesen, die am Rande aufgestellt
sind.
In der Nähe ist auch der Bauernhof
Pien-Toijola, der jetzt als Freilichtmuseum
genutzt wird. Nur hat er im Winter geschlossen, und wir stapfen im dicken Schnee an
den verschlossenen, dunklen Holzgebäuden aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert
vorbei, begleitet von dauerndem Hundegebell. Der Hund hat wohl lange keine Fremden mehr
gesehen.
Das bekannteste finnisches Wort und
für das es keine Übersetzung gibt? Richtig: Sauna! Nach den langen Wanderungen an der
kalten Luft ist es immer wieder eine Freude, die Sauna zu benutzen. Zwei Stunden
dauert
es, bis der Raum mit dem Holzofen die richtige Temperatur von 90 bis 100 Grad
hat. Nach
den Saunagängen stürmen wir dampfend in den Schnee. Dabei prickeln die Schneeflocken
angenehm auf der Haut.
Uralte
Rauchsauna
DAS Saunaerlebnis bietet
uns jedoch Risto. Sein Großvater hat vor fast 80 Jahren auf dem Hof eine Rauchsauna
gebaut. Diese spezielle Sauna wird jetzt nur noch zu besonderen Anlässen in Gang
gesetzt, und wir sind für Risto ein solcher Anlass. Rund acht
Stunden Vorbereitung brauchen er und seine Frau Päivi.
Der Raum aus Holz
ist ungefähr drei
mal drei Meter groß und zwei Meter zehn hoch. An zwei Wänden sind in drei
unterschiedlichen Höhen Sitzbänke angebracht. In der einen Ecke steht
ein alter
rechteckiger auf einer Seite geöffneten Steinofen. Darauf liegen große runde Steine, die
von einem Feuer darunter mit Hitze gespeist werden. Der Ofen und die Sauna
haben keinen
Kamin. Kaum hat Risto neue Holzscheite aufgelegt, bildet sich eine Rauchwolke in der
Sauna, die ungefähr einen halben Meter dick unter der Decke
schwebt. Darum ist auch der
Eingang mit etwas mehr als anderthalb Metern Höhe nicht sehr hoch, weil die Tür während des
dreistündigen Heizens einen Handspalt offen bleiben muss, damit frische Luft für das
Feuer in die Sauna strömen kann. Alles darin ist pechschwarz geräuchert und
riecht wie bester
Schinken. Auf Holzplatten sitzend machen wir drei genüssliche Durchgänge und
"verprügeln" uns mit nassen Zweigen der Sommerbirke. Nach einer guten Stunde
haben die Steine auf dem Ofen ihre Hitze abgegeben, und es wird langsam kühler.
Ristos
Eltern und Großeltern haben diese Sauna früher regelmäßig genutzt und zum Räuchern
den Schinken einfach mit hineingehängt, als sie noch selbst Tiere in den Ställen hatten. Mittlerweile benutzen Risto und seine Familie aber die neuere Sauna im Haus.
Killepitsch
Nach
diesem Saunagang lädt uns Risto ins Haus zum Abendessen ein, das mit einem Gläschen
Killepitsch, was wir aus Düsseldorf mitgebracht haben, feierlich beendet
wird.
Nach drei erholsamen Wochen
ist
dieser Urlaub zu unserem Bedauern vorbei, und das ungewöhnlich warme Wetter in
Düsseldorf begrüßt uns wieder. Wir hoffen aber, wieder so einen
schönen Winter in
Finnland zu verbringen. Eingeladen sind wir schon.
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